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Kunstberichte

Kapuzen und Kirschen

Die Albertina zeigt das zeichnerische Spätwerk von Philip Guston
Illustration
- „The Scale“ aus 1965.  Foto: The Estate of Philip Guston

„The Scale“ aus 1965. Foto: The Estate of Philip Guston

Illustration
- Erdbeerroter Kirschenhaufen: „Untitled (Cherries)“ aus 1980.  Foto: The Estate of Philip Guston

Erdbeerroter Kirschenhaufen: „Untitled (Cherries)“ aus 1980. Foto: The Estate of Philip Guston

Von Julia Urbanek

Wäre Philip Guston sein Vater gewesen, erklärt Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder, hätte dieser die Comic- und Schundhefte unter Schröders Jugendbett wohl nicht zerrissen. Guston hat den Comic schließlich geliebt. War es diese Primär-Erfahrungs-Überlegung oder etwas anderes – Guston wurde jedenfalls zu einem der "Lieblingskünstler" des Direktors. Und diesem Künstler ist nun eine faszinierende Schau in der Pfeilerhalle der Albertina gewidmet.

"Arbeiten auf Papier" sind es, späte Arbeiten und viele Zeichnungen, die hier bis 25. November gezeigt werden. Die Schau macht ihren Weg von Bonn über Dänemark nach Wien, bis sie über München schließlich in Gustons Schaffens-stadt New York landet. Wo er in den 50er Jahren Willem de Kooning und Mark Rothko kennen lernte und 1980 nach einem Herzanfall stirbt.

Baumelnde Schuhe

Geboren wird Guston aber 1913 im kanadischen Montreal. Als siebtes und letztes Kind einer russisch-jüdischen Emigrantenfamilie, die bald, im Jahr 1919, nach Los Angeles auswanderte. Dort soll sich die berufliche Situation des Vaters verbessern – diese Hoffnung erfüllt sich nicht: er begeht bald Selbstmord. Philip Guston war es, der den Vater im Zimmer hängend fand. Zuerst sah er nur die baumelnden Schuhe – er hatte so nicht nur auf tragische Weise seinen Vater gefunden, sondern damit auch ein häufiges Motiv späterer Arbeiten. Immer wieder setzt er das Erlebte um: Im Raum Hängendem, derbem Schuhwerk oder genagelten Sohlen begegnet man in seinen Zeichnungen immer wieder.

Nach dem Tod seines Vater widmet sich Guston der Kunst: Er beginnt einen Lehrgang für Cartoonzeichnen und wird mit 14 Jahren an der Los Angeles Manual Arts High School aufgenommen – dort trifft er auf Jackson Pollock, der ihm Wegbegleiter bleibt. Die Renaissancemalerei fesselt den jungen Künstler und irgendwo zwischen Comic und Renaissance findet er zu seinem Stil. Der kein durchgängiger ist, sondern ein wandelbarer, von unterschiedlichen Einflüssen geprägter.

Raucher und Trinker

Die 92 Arbeiten auf Papier, die nun in der Albertina gezeigt werden, schuf er wie zur inneren Reinigung. In der Zeichnung holte er sich neue Kraft in Krisen. Mit Tusche oder Kohle fand er seine Privatheit. Die findet sich etwa in einem Bild, auf das Christoph Schreier, der auch den Katalog der Ausstellung herausgegeben hat, hinweist: Es zeigt einen Schuh, Gustons Frau Musa und ihn selbst – wie meist als kahlen Kopf mit einem breiten Sehschlitz. Wenn Guston sich selbst zeichnet, dann meist mit einer Zigarette: "Er war ein engagierter Raucher, Trinker und Leser", erklärt Schreier: "Das fügte er zu kleinen Bildgeschichten zusammen". Gustons Werk bekommt literarische Züge, wenn man seine Illustrationen zu Clark Coolidge betrachtet.

Bücher wie Hochhäuser

Die Ausstellung in der Pfeilerhalle besticht wie Gustons Werk mit Vielfalt: ein erdbeerrotes Kirschenhäufchen; politische Statements auf himmelblauem Hintergrund; Bücher, die wie Skyscraper aussehen; ein Sandwich, das sich wie ein Wurm räkelt; bedrohliche Kapuzenmänner, die bei Guston immer wiederkehren; oder einfach zittrige Striche, mit denen er wieder bei null anfing.

Ein Besuch dieser faszinierenden Schau und ein Blick in Gustons Bildwelten lohnen sich sehr.

Philip Guston.

Arbeiten auf Papier

Albertina Pfeilerhalle

Bis 25. November

tgl. 10 bis 18 Uhr,

Mittwoch 10 bis 21 Uhr

www.albertina.at

Faszinierend.

Freitag, 07. September 2007


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