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Kunsthalle Krems: Von Dürer bis Diktator

22.07.2009 | 18:32 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Die Sommerausstellung schafft es, dem Thema „Porträt“ durch neue Gegenüberstellungen überraschende, aber auch schockierende Facetten abzuringen.

Man erkennt ihn sofort, den Mann mit den langen Locken und dem strengen, frontal auf den Betrachter gerichteten Gesicht. Aber etwas ist anders an Albrecht Dürers berühmtem Selbstporträt: Den Pelzrock hat er gegen einen schweren Ledermantel getauscht, darunter trägt er einen schwarzen Rollkragenpullover, und seine Hand hält er nicht mehr im lockeren Segensgestus vor sich, sondern die Arme sind trotzig verschränkt, mehr eitler Existenzialist als Jesus Christ.

Dorothee Golz musste gar nicht viel am Computer tricksen, um aus dieser stolzesten Künstlerselbstdarstellung der Renaissance eine unserer Gegenwart zu machen. Und umreißt damit gleich am Anfang der großen, heute Abend eröffnenden Porträt-Ausstellung in der Kunsthalle Krems ihren zeitlichen Bogen und Anspruch: In seiner ersten Präsentation als neuer Direktor des Hauses versucht Hans-Peter Wipplinger nämlich, das zwar populäre, aber doch schon etwas abgenutzte Thema Porträt neu erlebbar zu machen. Durch teils gewagte Gegenüberstellungen, Verschränkungen zwischen historischer und zeitgenössischer Kunst sowie durch Mischung prominenter Namen wie Picasso, Warhol, Bacon mit vergleichsweise unbekannten, jungen Künstlern wie Simon Schubert, der Samuel Becketts Charakterkopf nur durch zarte Faltungen gespenstisch auf einem weißen Bogen Papier erscheinen lässt.

 

Auffällig viel aus der Sammlung Batliner

Auf die Probe gestellt wird das Auge auch bei einer Folge scheinbar unaufgeregter Kleinformate: Zwischen das Bildnis eines Herrn Schwach von Anton Romako (Lentos) und eines Fräulein Eva Steinbarth von Max Slevogt (Belvedere) hat sich eine Störung eingeschlichen. Durch das Gesicht eines Kindes mit Federhut und Matrosenkragen spannen sich plötzlich fünf metallene Klammern. Meist sind es alte medizinische Apparaturen, die Markus Schinwald von Restauratoren in gefundene historische Porträts „implantieren“ lässt, unheimliche Materialisationen gesellschaftlicher oder innerer Zwänge.

In den oberen Hallen machen sich die Früchte eines Deals mit der Albertina bemerkbar: Die ursprünglich in Krems geplante Impressionisten-Schau findet im Herbst in Wien statt; dafür sind in der daraufhin neu angesetzten Porträt-Ausstellung auffällig viele Leihgaben aus der Sammlung Batliner, verwahrt in der Albertina, zu entdecken. Ein sehr spätes, sehr expressiv abstrahiertes „Face“ von Roy Liechtenstein etwa, das auf ein frappant ähnliches Gesicht von Siegfried Anzinger trifft, das noch dazu sechs Jahre früher, 1980, entstand. Der Pop-Art-Star wird wohl trotzdem nicht geschummelt haben...

Die Ausstellung mäandert durch Zeiten, Stile, Medien, konzentriert sich zu Themengruppen wie Dekonstruktion, Stars, Gender, Maskerade, Dokumentation, Manipulation. Immer wieder geht das System der unerwarteten Gegenüberstellungen auf: Ein Malerselbstbild von Martin Kippenberger trifft auf eine ungemein starke Selbstdarstellung Xenia Hausners, die alle Rollenklischees von Maler/Modell mit ähnlich trotzig verschränkten Armen, nackt und mit provokantem Blick Lügen straft. Vor ihr ihre Malwerkzeuge.

Sehr heikel wird der Konfrontationseffekt aber plötzlich bei Christian Boltanskis Erinnerungsraum mit einzeln beleuchteten Fotos der Schüler einer Klasse des Wiener jüdischen Gymnasiums zu NS-Zeiten. An der Wand gleich gegenüber dem Eingang nämlich wartet ihr Mörder, Adolf Hitler, porträtiert von Otto Muehl 1968 in einer Serie von Diktatoren. Bald wird er selbst Kopf eines diktatorischen Experiments sein. Hier prallen zwei völlig verschiedene Verarbeitungen des Traumas NS-Zeit zusammen, die in Tonalität, Entstehungskontext und bei Muehl in einer gewissen Zweifelhaftigkeit der Motive, begründet in seinem dämonischen Anarchismus, nicht unterschiedlicher sein könnten. Die Frage bleibt, mit welchem Erkenntnisgewinn es sich in dieser üppigen, ansonsten überwiegend harmlosen Zusammenschau auszahlt, ein derartiges ideologisches Wagnis einzugehen.

26.7. bis 26.10., tägl. 10–18 Uhr.


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