Gassenlokal des Sigmund Freud Museums: Ann-Sofi Sidéns Besuch der Perückenmacher
Haariges hinter der Bühne
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Die Sorgfalt der Perückenmacher fürs Theater: Akribisch, aber ebenso zärtlich wie mechanisch. Foto: Christine König Galerie
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Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer
Seit 2001 hat das Wiener Sigmund Freud Museum im Haus Berggasse 19 das
Gassenlokal der ehemaligen Fleischerei Siegmund Kornmehl für
Installationsreihen von Gegenwartskünstlern genützt. Der erste Beitrag
kam von Konzeptkünstler Joseph Kosuth, zuletzt befasste sich Susana
Hefuna in der dritten Runde von "A View from Outside – Reloaded" mit dem
"Ich"-Begriff Freuds, allerdings als arabisches Schriftzeichen "Ana".
Nun gastiert die bekannte schwedische Künstlerin Ann-Sofi Sidén nach
ihrer Personale in der Secession 1999 und Beiträgen mit
Videoinstallationen auf den Biennalen von Venedig, Sao Paulo, Berlin und
Sidney mit "The Wigmasters Visit" wieder in Wien.
Die sechs auf drei Stangen aufgeteilt positionierten Videomonitore im
Vordergrund, die in einer etwa zehn Minuten dauernden Präsentation (in
wiederkehrendem Loop) Perückenmacher bei ihrer akribischen Arbeit an
Holzköpfen und Spindeln für die Haarsträhnenpräparation zeigen, sind
Teil ihres großen Projekts "Teatermaskinen" mit Musiker Jonathan Bepler.
Sie wird die komplette Arbeit im Dramaten Stockholm, dem wichtigsten
Theater der Stadt, im Herbst 2011 fertigstellen. Hinter den sechs
Monitoren fehlt am Ende des dunkel gestrichenen Raums die Wand und die
Stellagen eines Lagerbereichs unter Neonlicht werden sichtbar. Plötzlich
ist auch das Gassenlokal Berggasse eine kleine Spielbühne hinter der
Glasfassade mit Werkstattcharakter dahinter. Sidén interessiert sich
immer für die anonymen Arbeiter von Zwischenreichen unserer
Gesellschaft, oft auch einer in unheimlicher Szenerie; so war etwa ein
großes Projekt der Prostitution an der ehemaligen Ostgrenze gewidmet.
Anregungen aus 60er Jahren
Seit 2007 hat Sidén, die in Berlin studiert hat, in ihrer Heimatstadt
Stockholm eine Professur für bildende Kunst. Neben Film und Kinoraum,
Skulptur und Fotografie, sind auch der Aktionismus der 60er Jahre und
die Geschlechterproblematik der Body-Art seit 1970 für sie als
Anregungen entscheidend. Ihre letzten Personalen waren in den modernen
Museen von Paris und Stockholm, dabei wurde sie 2009 mit einem
Skulpturenpreis ausgezeichnet.
Deshalb fängt sie in "The Wigmasters Visit" auch nahezu jede langsame
Geste des Nähens oder weiterer Bearbeitung des Menschenhaars als eine
unbeabsichtigt theatralische Geste ein. Lange bevor Schauspieler die
fertigen Perücken tragen, werden diese Requisiten in den Händen der
Handwerker bereits zu Individuen. Die Pathosformeln der anonymen Frauen
und Männer – eine vergleicht Sidén mit dem Bild-
typus "Madonna und
Kind" – schließen, wie das Haar selbst in seiner Symbolik, für Sidén das
"Es" Freuds gedanklich ein. Neben diesem Schwenk ins Unbewusste sieht
sie in der seit 100 Jahren kaum veränderten Perückenmacherarbeit eine
"Brücke in die Vergangenheit", ja sogar eine Metapher für das so
zögerliche Einsickern von Ideen und ihre Festigung in unserem
Gedächtnis.
Freuds großes Interesse für das Theater und die Verbindung von
Theater und Psychoanalyse bis heute ist ein weiterer Hintergrundsaspekt.
Sidén integriert in ihre Videoinstallationen immer Gedanken zu Form und
plastischen Qualitäten – so erinnern die Holzmodellköpfe zum einen an
die kleinen Götterfiguren und Totems, die Freud sammelte, zum anderen
werden in dem fast zärtlichen handwerklichen Umgang mit den Köpfen auch
fließende Übergänge von Objekt und Subjekt suggeriert. Das erinnert
nicht nur an den Fetisch, sondern auch an die archäologischen Techniken
der Psychoanalyse und das Verhältnis zwischen Psychoanalytiker und
Patient.
Offene Gedankenbühne
Die Künstlerin fördert bei den Betrachtern bewusst offene
Gedankenbühnen, sie lässt ein komplexes Assoziieren mit persönlichen
Beziehungen im familiären Bereich als Nachleben der urgeschichtlichen
Zeichen und Empfindungen zu.
In der Breite ihres Ideenkonstrukts schließt sie sich bewusst an
Freuds weitläufige kulturwissenschaftliche Analyse an. Wieder einmal
zeigt sich der Kunstdiskurs mit dem Meister der Rituale aus der
Berggasse als unentbehrliche und nicht versiegende Anregungsquelle vom
Surrealismus bis in die Gegenwart.
Ausstellung
A View from Outside – Reloaded. Ann-Sofi Sidén: The Wigmakers Visit
Installation Berggasse 19
Gassenlokal Freud Museum
bis 17. Juni
Printausgabe vom Freitag, 18. März 2011
Online seit: Donnerstag, 17. März 2011 19:21:00