Als der berühmte amerikanische Fotograf Edward
Steichen die Ausstellung "Post-war European Photography" 1953
zusammenstellte, stieß er auf den Schweizer Jakob Tuggener (1904–1988).
Dessen obsessive Leidenschaft galt den Ballnächten der reichen
bürgerlichen Oberschicht in Palast- und Grande-Hotels von St. Moritz und
Zürich, später mischte er sich auch in Wien mit seiner Leica unter die
Gäste des Opernballs.
Edward Steichen hielt Tuggener auch in seiner Welt umspannenden
Fotoschau "The Family of Man" die Treue, Theoretiker wie Otto Steinert
orteten ihn in seinem Kreis der avantgardistischen "subjektiven
Fotografie". 1947 waren die Bälle erstmals im renommierten Fachblatt
"Camera" abgebildet. 1951 war Tuggener mit seinen Kollegen erstmals im
Züricher Helmhaus vertreten. Der Höhepunkt seiner Karriere aber waren die
früher Sechziger, in denen er mit seinen Fotos in bekannten Modejournalen
oder in der Kulturzeitschrift "Du" erschien.
Warum ist Tuggener heute nur mehr wenigen Insidern der Fotografie
bekannt? Einerseits war es damals noch nicht üblich, einzelne Aufnahmen
für Museen oder private Sammler zur Verfügung zu stellen. Doch es war
andererseits auch die Abneigung des Künstlers gegenüber Texten von
Spezialisten seines Fachs. Zwar schrieb er ab und zu selbst, misstraute
aber jedem Kommentar, wollte Bilder nur visuell wirken lassen. Diese
strikte Haltung war wiederum für die meisten Verleger von Fotobänden nicht
opportun. Deshalb kam Tuggener über seinen ersten Band "Fabrik" (1943)
nicht hinaus: Darin hatte er den Gegensatz von Mensch und Maschine
thematisiert.
Traum des Künstlers
Der kompromisslose Fotograf träumte immer von einer Gesamtschau seiner
Ballnachtserien von 1962 und 1963. Auch die vielteiligen großen Tafeln für
ein mögliches Layout eines Fotobands, sogenannte Maquetten, sind erhalten,
deshalb konnte nun ein Katalog nach seinen Vorstellungen von der
Fotostiftung Schweiz und der Jakob Tuggener Stiftung erstellt werden.
Warum es bisher nie dazu kam? Ein Hindernisgrund waren natürlich die
Dargestellten, die sich in subtilen, erotischen Situationen wiederfanden.
Das ist trotz aller Diskretion spürbar, denn Tuggener hatte eine Vorliebe
für die bloßen Rückenansichten und erschöpft niedergesunkenen Damen.
Als ein Züricher Galerist die Fotografien übernehmen wollte,
scheiterten die Verhandlungen am Preis – auch die Vermarktung überließ
Tuggener niemand anderem. Seine teils angeschnittenen Perspektiven,
Unschärfen durch lange Belichtungszeiten (ohne Blitzlicht) und intimen
Ausschnitte galten damals als expressiv, heute arbeiten viele junge
Fotokünstler mit derlei Stilmitteln.
Er liebte nicht nur nackte Haut und tolle Frisuren, sondern vor allem
teure Stoffe und auch die Gläserstillleben auf den Tischen. Selbst die
Tristesse des fortgeschrittenen Abends und die hell erleuchteten Fassaden
hat wohl kaum jemanden so fasziniert.
Seine erste Leica kaufte sich der ehemalige Maschinenzeichner 1934.
Angeregt wurde er von den Nachtbildern der Stadt Paris, die der berühmte
Kollege Brassai fotografiert hatte. Die Hermesvilla, einst Zufluchtsstätte
und Repräsentationsraum der Kaiserin Elisabeth, verwandelt sich nun bis
12. März durch die Schwarzweißaufnahmen der Ballnächte Jakob Tuggeners in
eine Festzone.
Wien Museum und die Fotostiftung Schweiz lassen breiten
Interpretationsmöglichkeiten von Wahrnehmungslust freien Lauf. Die
historischen Ballnächte sind aber natürlich auch Abbild der Gesellschaft.
Sie zeigen ein vergangenes optimistisches Lebensgefühl der Nachkriegsära.
Was Wer Wo Wie
„Ballnächte. Fotografien von Jakob Tuggener“
Martin Gasser und Regina Karner (Kuratoren)
Wien Museum, Hermesvilla, bis 12. März 2006
Di. bis So.: 9 bis
16.30 Uhr
Rauschende Erlebnisse.
Donnerstag, 15. Dezember
2005