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30.05.2003 - Ausstellung
Licht, Luft und Sonne
Noch eine Neuerung auf dem Museumssektor: In Innsbruck erstrahlt das Ferdinandeum in neuer Frische. Zur Wiedereröffnung gibt’s einen Klassiker: „In freier Natur: von Cezanne bis Picasso“.
Von Johanna Hofleitner


Schon einiges Neue brachte die viel beschworene Zeitenwende vom 20. ins 21. Jahrhundert auf dem Gebiet des Museumsbaus. Den Anfang im Reigen der Eröffnungen machte St. Pölten mit seinem interdisziplinär ausgerichteten „Niederösterreichischen Landesmuseum“. In Wien präsentierte sich die glanzvoll renovierte Albertina neu; und vor kurzem steuerte Linz mit dem wunderschönen Neubau des „Kunstmuseum Lentos“ zur Debatte um zeitgemäße Museumsarchitektur einen gewichtigen Beitrag bei.

Fast zeitgleich mit dem Lentos öffnet auch in Innsbruck das umgebaute Tiroler Landesmuseum „Ferdinandeum“ wieder seine Pforten. Das Museum, das 1823 unter Erzherzog Ferdinand begründet worden und anfänglich in der Universität untergebracht war, bevor man 1840 einen Neubau in Angriff nahm, wurde einer Frischkur unterzogen. Unter Federführung der Kufsteiner Architekten Adamer/Ramsauer erweiterte man das historische Bauwerk in Richtung Norden. Dafür wurde ein zweckorientierter Anbau aus den 80er-Jahren geschliffen und durch einen fünfgeschoßigen, von oben belichteten Kubus ersetzt.

Die neue Architektur folgt dem Prinzip der Form in der Form. „Die Grenzen zwischen Alt und Neu sind klar ersichtlich und werden zum Entwurfsthema“, so das architektonische Credo, „die Balance von Alt und Neu soll eine neue Identität schaffen.“ Hauptelemente des Zubaus sind eine über dem Erdgeschoß liegende „Artbox“ – ein abgeschlossener, künstlich beleuchteter White Cube für Sonderausstellungen, über dem sich nun die „Moderne Galerie“ befindet – und eine Kaskadentreppe als zeitgenössischer Kontrapunkt zur historischen Treppenanlage. Damit werden auch die Ausstellungsräume neu erschlossen. Statt durch „Sackgassen“ können die Besucher die Schauräume, zu denen auch die Abteilungen Kunsthandwerk und Musik gehören, nun in einem chronologischen Rundgang besichtigen. Zeitgenössische Akzente setzen räumliche Interventionen von Eva Schlegel – sie gestaltete die gläserne Trennwand zwischen Foyer und Bibliothekssaal – und Lawrence Weiner, der die Treppe mit einer seiner typischen Schriftarbeiten versah: „In einen Kontext gestellt – der vorher nicht bekannt war – wohin auch immer.“

Mensch &Landschaft. Mit der ersten Sonderausstellung im wieder eröffneten Haus setzt das Ferdinandeum auf einen Klassiker. „In freier Natur“ geht dem Verhältnis von Mensch, Natur, Landschaft im Zeitraum 1880–1930 nach und schlägt einen Bogen vom Impressionismus über Pointillismus, Fauvismus, Nabis, Blauer Reiter bis zum Expressionismus. Nachdrücklich wird damit auf jenen künstlerischen Zusammenhang verwiesen, der für die Entstehung der Sammlung um 1900 maßgeblich war.

Dabei nimmt die Ausstellung keineswegs ein romantisches „Zurück zur Natur!“ unter die Lupe. Was hier viel mehr interessiert, ist die künstlerische Auseinandersetzung mit der Natur vor dem Hintergrund des Großstadtlebens, wie sie die Impressionisten als „Maler des modernen Lebens“ zu erster Blüte gebracht hatten. (Kein Zufall auch, dass sich die bekanntlich als Schimpfwort intendierte Bezeichnung für die jungen Maler, „Impressionisten“, von einem Naturbild – Monets Darstellung des „Eindrucks der aufgehenden Sonne“ – herleitete!)

Neue Herausforderung. Parks, Sport und Freizeit gerieten auf diese Weise in den Fokus und stellten für die Künstler eine neue Herausforderung dar. Manet, Degas, Monet, aber auch die jüngeren „Nabis“ – Bonnard, Vallotton, Vuillard – hielten in Gemälden, Zeichnungen und Lithografien das Treiben in den Parks und auf den Straßen und Plätzen der Großstadt ebenso fest, wie sie auch Pferderennen, Picknicks, flanierende Spaziergänger zu Sujets ihrer Bilder machten.
Was die Impressionisten und ihre Schüler  aber weit mehr interessierte, waren das Licht selbst, seine Reflexe und atmosphärischen Veränderungen. In Österreich malte Theodor Hörmann unter dem Eindruck eines Parisaufenthalts in impressionistischer Manier, in Deutschland griffen Liebermann, Slevogt, Corinth die neuen Ideen auf. In der Folge richtete sich die Aufmerksamkeit auch auf neue figürliche Darstellungsmöglichkeiten: „Badende“, „Akte im Freien“ und ähnliche Sujets entstanden als Sinnbilder eines irdischen Paradieses. Künstler wie Van Gogh, Gauguin, die Fauvisten, aber auch die Expressionisten begaben sich gar auf die Suche nach paradiesischen Landschaften als reale Form von Lebens- und Sinnzusammenhängen – sei es auf Tahiti, in Südfrankreich, oder in Norddeutschland, wo der Maler Fritz Mackensen mit Paula Modersohn-Becker u. a. eine Künstlerkolonie gründete.

Über all diesen Projekten steht sinnbildlich die Frage „Woher kommen wir, was sind wir, wohin gehen wir?“, wie Paul Gauguin sein berühmtestes Gemälde nannte. Nach der Erfahrung des Weltkriegs werden zunehmend soziale, politische, spirituelle Zusammenhänge des Lebens in und mit der Natur interessant. So malen die deutschen Expressionisten die „unverdorbene“ Landschaft als Stenogramm psychischer Befindlichkeit vis-à-vis der industrialisierten Großstädte. Stellvertretend für viele Zeitgenossen beschreibt Gabriele Münter die Bedeutung des Rückzug aufs Land: er markiere den Weg „vom Naturabmalen – mehr oder weniger impressionistisch – zum Fühlen eines Inhalts, zum Abstrahieren – zum Geben eines Extrakts“.

Tipp:

Innsbruck: Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum: „In freier Natur – von Cézanne bis Picasso. Mensch und Natur in der europäischen Moderne“
4. 6.–28. 9.



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