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Schon einiges Neue brachte die viel beschworene Zeitenwende vom 20. ins
21. Jahrhundert auf dem Gebiet des Museumsbaus. Den Anfang im Reigen der
Eröffnungen machte St. Pölten mit seinem interdisziplinär ausgerichteten
„Niederösterreichischen Landesmuseum“. In Wien präsentierte sich die
glanzvoll renovierte Albertina neu; und vor kurzem steuerte Linz mit dem
wunderschönen Neubau des „Kunstmuseum Lentos“ zur Debatte um zeitgemäße
Museumsarchitektur einen gewichtigen Beitrag bei.
Fast zeitgleich
mit dem Lentos öffnet auch in Innsbruck das umgebaute Tiroler Landesmuseum
„Ferdinandeum“ wieder seine Pforten. Das Museum, das 1823 unter Erzherzog
Ferdinand begründet worden und anfänglich in der Universität untergebracht
war, bevor man 1840 einen Neubau in Angriff nahm, wurde einer Frischkur
unterzogen. Unter Federführung der Kufsteiner Architekten Adamer/Ramsauer
erweiterte man das historische Bauwerk in Richtung Norden. Dafür wurde ein
zweckorientierter Anbau aus den 80er-Jahren geschliffen und durch einen
fünfgeschoßigen, von oben belichteten Kubus ersetzt.
Die neue
Architektur folgt dem Prinzip der Form in der Form. „Die Grenzen zwischen
Alt und Neu sind klar ersichtlich und werden zum Entwurfsthema“, so das
architektonische Credo, „die Balance von Alt und Neu soll eine neue
Identität schaffen.“ Hauptelemente des Zubaus sind eine über dem
Erdgeschoß liegende „Artbox“ – ein abgeschlossener, künstlich beleuchteter
White Cube für Sonderausstellungen, über dem sich nun die „Moderne
Galerie“ befindet – und eine Kaskadentreppe als zeitgenössischer
Kontrapunkt zur historischen Treppenanlage. Damit werden auch die
Ausstellungsräume neu erschlossen. Statt durch „Sackgassen“ können die
Besucher die Schauräume, zu denen auch die Abteilungen Kunsthandwerk und
Musik gehören, nun in einem chronologischen Rundgang besichtigen.
Zeitgenössische Akzente setzen räumliche Interventionen von Eva Schlegel –
sie gestaltete die gläserne Trennwand zwischen Foyer und Bibliothekssaal –
und Lawrence Weiner, der die Treppe mit einer seiner typischen
Schriftarbeiten versah: „In einen Kontext gestellt – der vorher nicht
bekannt war – wohin auch immer.“
Mensch &Landschaft. Mit der ersten Sonderausstellung im wieder
eröffneten Haus setzt das Ferdinandeum auf einen Klassiker. „In freier
Natur“ geht dem Verhältnis von Mensch, Natur, Landschaft im Zeitraum
1880–1930 nach und schlägt einen Bogen vom Impressionismus über
Pointillismus, Fauvismus, Nabis, Blauer Reiter bis zum Expressionismus.
Nachdrücklich wird damit auf jenen künstlerischen Zusammenhang verwiesen,
der für die Entstehung der Sammlung um 1900 maßgeblich war.
Dabei
nimmt die Ausstellung keineswegs ein romantisches „Zurück zur Natur!“
unter die Lupe. Was hier viel mehr interessiert, ist die künstlerische
Auseinandersetzung mit der Natur vor dem Hintergrund des Großstadtlebens,
wie sie die Impressionisten als „Maler des modernen Lebens“ zu erster
Blüte gebracht hatten. (Kein Zufall auch, dass sich die bekanntlich als
Schimpfwort intendierte Bezeichnung für die jungen Maler,
„Impressionisten“, von einem Naturbild – Monets Darstellung des „Eindrucks
der aufgehenden Sonne“ – herleitete!)
Neue Herausforderung. Parks, Sport und Freizeit gerieten auf diese
Weise in den Fokus und stellten für die Künstler eine neue Herausforderung
dar. Manet, Degas, Monet, aber auch die jüngeren „Nabis“ – Bonnard,
Vallotton, Vuillard – hielten in Gemälden, Zeichnungen und Lithografien
das Treiben in den Parks und auf den Straßen und Plätzen der Großstadt
ebenso fest, wie sie auch Pferderennen, Picknicks, flanierende
Spaziergänger zu Sujets ihrer Bilder machten. Was die Impressionisten
und ihre Schüler aber weit mehr interessierte, waren das Licht
selbst, seine Reflexe und atmosphärischen Veränderungen. In Österreich
malte Theodor Hörmann unter dem Eindruck eines Parisaufenthalts in
impressionistischer Manier, in Deutschland griffen Liebermann, Slevogt,
Corinth die neuen Ideen auf. In der Folge richtete sich die Aufmerksamkeit
auch auf neue figürliche Darstellungsmöglichkeiten: „Badende“, „Akte im
Freien“ und ähnliche Sujets entstanden als Sinnbilder eines irdischen
Paradieses. Künstler wie Van Gogh, Gauguin, die Fauvisten, aber auch die
Expressionisten begaben sich gar auf die Suche nach paradiesischen
Landschaften als reale Form von Lebens- und Sinnzusammenhängen – sei es
auf Tahiti, in Südfrankreich, oder in Norddeutschland, wo der Maler Fritz
Mackensen mit Paula Modersohn-Becker u. a. eine Künstlerkolonie gründete.
Über all diesen Projekten steht sinnbildlich die Frage „Woher
kommen wir, was sind wir, wohin gehen wir?“, wie Paul Gauguin sein
berühmtestes Gemälde nannte. Nach der Erfahrung des Weltkriegs werden
zunehmend soziale, politische, spirituelle Zusammenhänge des Lebens in und
mit der Natur interessant. So malen die deutschen Expressionisten die
„unverdorbene“ Landschaft als Stenogramm psychischer Befindlichkeit
vis-à-vis der industrialisierten Großstädte. Stellvertretend für viele
Zeitgenossen beschreibt Gabriele Münter die Bedeutung des Rückzug aufs
Land: er markiere den Weg „vom Naturabmalen – mehr oder weniger
impressionistisch – zum Fühlen eines Inhalts, zum Abstrahieren – zum Geben
eines Extrakts“.
Tipp:
Innsbruck: Tiroler
Landesmuseum Ferdinandeum: „In freier Natur – von Cézanne bis Picasso.
Mensch und Natur in der europäischen Moderne“ 4. 6.–28.
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