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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
12.06.2002
19:23 MEZ
Architektur als Verantwortung
Stararchitekt Shigeru Ban, berühmt als Erfinder des Papierhauses auf Bierkisten, im Interview mit dem STANDARD

Foto: Standard/Cremer
Shigeru Ban

Shigeru Ban erfand das Papierhaus auf Bierkisten und bescherte damit Tausenden Flüchtlingen menschenwürdige temporäre Unterkünfte. Warum er unzufrieden wäre, würde er nur für die reiche Klientel bauen, erklärte er im Gespräch mit Ute Woltron.


Wien - Im Universum der internationalen Spitzenarchitekten nimmt der Japaner Shigeru Ban eine Sonderstellung ein. Erstens ist der Mann aus Tokio mit 45 Jahren vergleichsweise immer noch ein Architekturjüngling, zweitens ist er trotz kometenhaften Aufstiegs auf erfrischende Weise bodenständig geblieben. Diverse Sozialprojekte wie rasch und preiswert produzierte Flüchtlings-und Notunterkünfte für Ruanda 1994 und Kobe nach dem Erdbeben 1995 sowie der unkonventionelle Einsatz von Billigmaterialien wie Papier als Konstruktionsstoff und Bierkisten als temporäres Fundament haben den Japaner sehr rasch international bekannt gemacht.

Aufsehen erregte Shigeru Ban zuletzt mit dem japanischen Pavillon für die Expo in Hannover, für den er Papierrohre zu einem elegant-gewagten riesigen Hallenkonstrukt verband. Für betuchte japanische Klienten baute er in den letzten Jahren klare, unverwechselbare und stets mit Details und Konstruktion überraschende Villen. Derzeit arbeitet der Architekt an so unterschiedlichen Aufgaben wie einer Schule für die Unicef im Süden des Sudan, einer Parkanlage in St. Louis, Missouri, oder einem Museum im französischen Dijon.

Am Dienstag war der international gefragte Bauvirtuose zu Gast am Institut für Raumgestaltung der TU Wien, um einen Vortrag zu halten. Zuvor traf DER STANDARD Shigeru Ban zu einem Gespräch.


STANDARD: Sie sind unter den so genannten Architekturstars derzeit einer der Jüngsten. Wie konnten Sie dermaßen rasch international reüssieren?
Shigeru Ban: Ich arbeite ja immerhin schon seit 17 Jahren als Architekt. Ich denke aber, dass ich vor allem durch meine Flüchtlingsunterkünfte aus Papier Einfluss bekommen habe, denn erstens war die Wahl des Materials ungewöhnlich, zweitens zeichnen sich Architekten nicht oft durch humanitäre Arbeit aus.

STANDARD: Während Ihre schillernden Zeitgenossen für reiche Auftraggeber Einzelobjekte schmieden, haben Sie unaufgefordert für mittellose Massen gebaut und wurden erst später von Klienten für Projekte engagiert. Welche Art zu arbeiten ist Ihnen retrospektiv sympathischer?
Ban: Architekten haben immer schon fast ausschließlich für Privilegierte, Reiche, Könige und große Unternehmen gearbeitet. Das ist auch heute noch so. Ich denke aber, wir Architekten sollten darüber hinaus eine Verantwortung wahrnehmen und unser Wissen und unsere Erfahrung auch an die Gesellschaft weitergeben, also an diejenigen, die sich eine solche Architektur eigentlich nicht leisten können. Ich fand dieses Einzelauftraggebertum immer unbefriedigend und habe einen Weg gesucht, um gesellschaftlich aktiv zu werden.

STANDARD: Sie haben für Ruanda Notunterkünfte aus Papierrollen gebaut, das Fundament stellten Bierkisten dar. Diese Häuser waren billig, funktional, sauber, haltbar. Solche Ideen haben zwar andere auch, aber wie konnten Sie Ihre Vision realisieren?
Ban: Die Leute haben damals Bäume gefällt, als Unterkonstruktion verwendet und mit Plastikplanen Hütten gebaut. Das war ökologisch natürlich eine Katastrophe und auch sonst unbefriedigend. Ich bin nach Genf gefahren und habe meine Pläne dem UN-Commissioner for Refugees vorgelegt, und tatsächlich war mein Vorschlag genau das, was man gesucht hatte: Papier gibt es überall, Bierkisten auch, das Assemblieren ging rasch, alles war sehr billig. Im Jahr darauf passierte das Erdbeben in Kobe, wo ähnliche Unterkünfte verwendet wurden.

STANDARD: Japan hat dankbar Ihre Erfindung aufgegriffen?
Ban: Aber nein, ich habe die Mittel selbst aufgebracht, indem ich in Radio und TV auftrat und um Spenden bat. Die Leute haben damals wieder unter Plastikplanen in Parks gelebt, weil die Notunterkünfte am Stadtrand lagen und sie von dort aus ihrer Arbeit im Zentrum nicht hätten nachgehen können. Teilweise waren die Papierhäuser bis zu zwei Jahre lang bewohnt.

STANDARD: Sie haben in den USA studiert, warum sind Sie nach Japan zurückgegangen?
Ban: Zufall. Meine Mutter brauchte ein kleines Haus - mein erster Auftrag. Als das fertig war, kamen die nächsten, und ich konnte gar nicht mehr weg. Rückblickend sehe ich das als ein großes Glück an, denn in den USA ist zwar die Ausbildung vorzüglich, doch es gibt im Gegensatz zu Japan kaum Möglichkeiten für junge Architekten. Hier ist es selbstverständlich, dass auch die Mittelschicht Architekten für ihre Häuser anheuert, während das etwa in Europa nur die Reichen tun, und die wollen zumeist nur Konventionelles.

STANDARD: Die neuen japanischen Wohnhäuser haben auch hier Berühmtheit erlangt. Dabei ist der Beruf des Architekten in Japan eigentlich neu.
Ban: Genau. Es gibt keine Geschichte der Architektur in Japan, doch der Lebensstil ändert sich rasant, was neue Häuser erfordert und dem neuen, hier vielleicht hundert Jahre alten Beruf des Architekten viele Aufträge beschert. Meine Großeltern lebten noch in einem traditionell japanischen Haus mit Tatami-Matten. Meine Generation will das nicht mehr. Außerdem entstehen laufend neue, immer kleinere Grundstücke, da die Erbschaftssteuer so hoch ist, dass meist die Hälfte des geerbten Grundstücks verkauft und neu verbaut wird.

STANDARD: Sie selbst haben neben den Billigunterkünften einige sehr elegante und auch teure Häuser gebaut. Worauf kommt es Ihnen in Ihrer Architektur eigentlich an?
Ban: Formales Design interessiert mich nicht. Ich will Materialien überraschend einsetzen, ich will neue Konstruktionen finden und gemeinsam mit dem Material ein neues Vokabular entwickeln. Derzeit arbeite ich etwa mit kunstharzverstärktem Bambus, dessen Tragkraft zwischen der von Holz und Stahl liegt. Ich versuche gerade eine Schule für die Unicef im Sudan so zu konstruieren, wende dasselbe Material aber auch in China an, wo neben der Großen Mauer ein exklusives Villenviertel entsteht.

STANDARD: Wie gehen Sie im Stararchitektenzirkus mit Ihrer Popularität um?
Ban: Viele Leute werden arrogant und produzieren nur noch Mist. Ich versuche sehr sorgfältig, das zu vermeiden. Ich will auch für kleine Projekte enthusiastisch bleiben. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.6.2002)


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