"Changing Channels"

Kanalhopsen ohne Fernbedienung: "Changing Channels"

05. März 2010, 19:08
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    Medienkontrolle durch Zerstörung: Die Gruppe Ant Farm ließ 1975 effektvoll zwei Symbole amerikanischer Kultur, einen futuristischen Cadillac und TV-Geräte, kollidieren:"Media Burn".


Im Museum Moderner Kunst Wien reflektiert man Kunst und Fernsehen

Wien - Bei Chaplin jongliert der große Diktator mit der Weltkugel. Im globalen Dorf der mediatisierten Welt wähnt man diesen eher im Fernsehstudio - an den Reglern. "Kapern wir das Format und füllen es mit Inhalt" , reagierte die Künstlergruppe General Idea Ende der 1970er-Jahre auf die Macht des Fernsehens. Sie enterte die mächtige Bildermaschine, deren manipulativer Anteil an der Wirklichkeitskonstruktion längst kein Geheimnis mehr war, und speiste eigene Inhalte ins System: Ihre Waffe im Kampf mit dem Monstrum? Dekonstruktion.

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Denn was man nicht besiegen kann (erschießen, anzünden, fluten -andere Künstler hatten bereits viel versucht), kann man zumindest demontieren, es unglaubwürdig machen. "Wir wollen das Fernsehen, wie wir es kennen, nicht zerstören. wir wollen ihm etwas hinzufügen, es ausdehnen, bis es seine Form zu verlieren beginnt" , so die Ansage von General Idea, die daraufhin einen anspielungsreichen TV-Cocktail mixten (Test Tube, 1979).

Nicht stolpern: konsumieren

Die Arbeiten der Kanadier sind einige der ungezählten Flimmerwerke, mit denen derzeit im Mumok das Beziehungsgeflecht von Kunst und Fernsehen untersucht wird. Auf vier Ebenen breitet Changing Channels künstlerische Reflexionen des Massenmediums zwischen 1963 und 1987 aus. Trotz des zeitlichen Abbiegens - bevor eine nächste Künstlergeneration nicht nur das Fernsehen, sondern auch gleich die Mütter und Väter der Medienkunst zu reflektieren begann - standen horrende Materialmengen zur Verfügung: Ja, wie soll man das konsumierbar machen? Auf alle Fälle nicht so, dass man "von einem dunklen Kammerl ins nächste stolpert und dann total erschlagen ist, sondern mit Ruhezonen", bemerkt der scheidende Direktor Edelbert Köb mit wohlgefälligem Blick auf das Ausstellungsdesign von Julie Ault und Martin Beck.

Quietschbunt statt Schwarz

Diese haben statt geschlossener Black Boxes eine offene Oberfläche gestaltet und mit quietschbunten Elementen, etwa aus grellen Testbildfarben zusammengewürfelten Bänken, möbliert. Aber Ruhezonen? Die Natur der Sache verbittet sich das. Von der Unmöglichkeit der Rast im permanenten Rauschen ganz zu schweigen. Allenfalls sorgen dicke schwarze, informativ gemeinte Lettern an den Wänden erdrückend dafür, sitzen zu bleiben. Echte Verschnaufpausen sind hier, wo selbst die Einleitung über Monitore - Schwarz auf Weiß und umgekehrt - rollt, nicht einkalkuliert.

Gelungen hingegen die Fernsehgalerie von Gerry Schum und Andy Warhol, die im Style edler Internetcafés oder Schnellrestaurants dem rasanten Konsum entgegenkommen.

Konsumierbarkeit und Auswahl scheinen wesentliche, wenn nicht gar die zentralen Fragen im Vorfeld gewesen zu sein. Auch Kurator Matthias Michalka schenkte diesen Aspekten bei der Pressekonferenz viel Worte: die Materialfülle und die Auswahl sowie die stiefmütterliche Behandlung der Medienkunst durch Museen ganz generell. Alles ganz furchtbar schwierig. Okay, schon gut, möchte man die Defensive abkürzen. Doch es wartet noch das Belohnungszuckerl: das Ticket zum Wiederkommen!

Rasen statt Verweilen

Glücklich schwebt man mit diesem also an Nam June Paiks Video-Synthesizer (1969/92) vorbei, meditiert Sekundenbruchteile vor der Medienkunstikone Zen-TV (1963/75), verweilt bereits Minuten bei der Pampers-Werbestrecke von Chris Burden. Effizientes Flanieren ist gefragt, denn es warten Arbeiten, die beim Verweilen Essenzielles über das Medium erzählen: etwa Harun Farockis Ärger mit den Bildern (1973), eine kritische, lehrreiche Auseinandersetzung mit der Gattung TV-Feature.

Denn didaktisch lässt die Schau Potenzial liegen: Man vermisst Zitate eines weiteren berühmten Kanadiers, der die kritische Reflexion der Massenmedien in den 1960ern begründete: von Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan. In seiner Klassifikation der Massenmedien war Fernsehen ein "kaltes Medium" , also im Vergleich zu heißen Medien wie Film eines, das dem Konsumenten trotz hohem Stimulus wenig beteiligte. Kalte Medien erfordern laut McLuhan mehr aktive Bemühung des Nutzers, etwa das Entschlüsseln abstrakter Muster und das gleichzeitige Verständnis aller Inhalte. So gesehen wäre Changing Channels eine kalte Ausstellung.

Was neben allem glücklichen Wiedersehen (Joseph Beuys trällert seine Anti-Atom-Hymne Sonne statt Reagan) mehr als nur danebengegangen ist, ist die ignorante Inszenierung österreichischer Medienpioniere: Gottfried Bechtold, Valie Export, Richard Kriesche und Peter Weibel. Sie verweilen auf einer Insel. Oder vielmehr in einer Nische. Dabei waren diese in den internationalen Informationsfluss über aktuelle Entwicklungen voll eingebunden, rückten ihre Arbeit bei Auslandsaufenthalten in entsprechende Kontexte.

Fazit: Der Slogan "Shop till you drop" wird in Changing Channels zu einem "Zap till you drop" . - Dabei hat gerade das TV vorgemacht, wie man lange Geschichten erzählt:als Serie. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe, 06./07.03.2010)

Bis 6. Juni

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Anlässlich der Ausstellung "Changing Channels" im Mumok spricht ORF-Programmdirektor Wolfgang Lorenz über alte Fernsehzeiten und neue Programme - Von Andrea Schurian

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