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Orangerie im Belvedere: Der Stoff, aus dem die Kunst ist

22.09.2009 | 19:05 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Edelbert Köb ließ sechs Künstler „Musterzimmer“ gestalten. Ein lockerer Parcours zwischen Kunst und Design, Offenbarung und Verweigerung.

Kunst und Design, nirgendwo beschnuppern Künstler den Alltag neugieriger als in Wien. Denken Sie an die Stühle und Bänke von Franz West, die Regale von Heimo Zobernig, die Einrichtungen der Wiener Werkstätte, gerade erst fürs 100-Jahre-Jubiläum der „Wiener Kunstschau“ im Unteren Belvedere rekonstruiert. Vom Aschenbecher zur Tapete, von der Vase zum Gemälde, alles wollten Klimt, Kolo Moser und Kollegen damals bestimmen.

Von derlei stilistischem Terror ist man in der Postpostmoderne weit entfernt, die Angebote, die einem in der Orangerie des Belvedere gemacht werden, verhalten sich nobel zurückhaltend: Auf sechs Podesten haben sechs Künstler und Künstlerinnen ihre „Musterzimmer“ aufgebaut; ihre Tastversuche, ihre Welt auf unsere auszudehnen, auf Couchen, Teppichen, Tapeten. Eine ungewöhnliche Ausstellung, die auf das Interesse der Wiener Traditionsfirma Backhausen zurückgeht. Sie bat fünf Wiener und eine in Wien lebende amerikanische Künstlerin, Lisa Ruyter, Textilmuster zu entwerfen. Dazu stieß Mumok-Direktor Edelbert Köb als Kurator, die Möbelfirma Wittmann – und Belvedere-Chefin Agnes Husslein griff zu.

 

Jubelnde Massen als Ornament

Ein Glücksfall, ist „die Kooperationsbereitschaft unter Wiener Kollegen sonst nicht so groß“, lobte der institutionell fremdgehende Köb bei der Pressekonferenz am Dienstag. Geschickt hat er vier typisch Wiener, farblich und formal reduzierte Entwürfe, mit zwei bunten eingeklammert: Die Malerin Lisa Ruyter schien fasziniert von den Möglichkeiten ihrer alltäglichen Motive als endloses Muster – in ihrer „Koje“ spielt sie mit der jubelnden Menschenmasse als Ornament, Gemälde, Tapete, Textilbild. Womit man sich für den Rest der Schau vom Menschenbild auch schon wieder verabschieden darf.

Florian Pumhösl hängt seine extrem feinen Stoffentwürfe wie Bilder an die Wand und eine damit überzogene Friedrich-Kiesler-„Bed Couch“ als Skulptur in die Mitte. Gerwald Rockenschaub verweigert eine praktische Nutzbarkeit noch radikaler: Aus dem offenen Raum machte er einen geschlossenen Kubus, überzogen mit seinem abstrakten schwarz-blauen Computerdesign. Auf einer Bank davor sitzend, darf man über dieses Objekt, über Kunst, Design und ihre Grenzen sinnieren. Esther Stockers Raum könnte, darf aber dafür nicht betreten werden: Sie hat das schwarz-weiß-graue Rastersystem ihrer Malerei mehrmals schon auf Räume ausgeweitet, erstmals aber baut sie hier Lichtelemente ein, die wie Schwellen wirken, um aus dem strengen Koordinatensystem ausbrechen zu können.

An einer Grenze zwischen hier und dort findet man sich auch in Peter Koglers Ur-Höhle wieder, fast kann es einem unheimlich werden, obwohl das Gehirn, auf dem man steht, ein flauschiger Teppich ist. Die nackte Glühbirne darüber aber gemahnt an wenig angenehme Situationen, hier wird Licht in bequemes Dunkel gebracht.

Bevor es analytisch allzu tief wird, spannt aber schon Gilbert Bretterbauer seine bunten, künstlerischen und sozialen Netze aus – willkommen im psychedelischen Wartezimmer! Am Teppich knallbunter Formenzirkus, darauf ein durchbrochenes Tischchen der Hohenbüchler-Schwestern, dahinter ein zackiges Gitter von Florian Schmidt. Und als Raumteiler einer der schönsten Stoffentwürfe dieser ganzen Muster-Ausstellung, opulenter schwarz-weißer Damast – „Supraspirit“, es darf geordert werden!

Bis 24.Jänner, tägl. 10–18h, Mi. 10–21h.


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