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06.12.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Ganz tief drinnen im System
VON ALMUTH SPIEGLER
Ausstellung. Elke Krystufek macht dem MAK mit "Liquid Logic" Mut und bringt Unruhe ins museale Mausoleum.

Menstruationsneid" hat Elke Krys tufek einmal Hermann Nitsch frech unterstellt. Nach einem ersten Blick in ihre neue Ausstellung im Museum für angewandte Kunst könnte man ihr jetzt glatt ausgewachsenen Penisneid konstatieren. So riesengroß und zuckerlbunten Lollies gleich, wie sich die Gemächter stolz auf einer die ganze Saalrückwand einnehmenden Leinwand aufrichten. Auch sonst tauchen sie immer wieder auf - als Auslassung in einem hölzernen Verner-Panton-Stuhl-Double, als Beistelltisch-Platte oder auch nur vertreten durch eindeutige Spuren: Gleich neben dem Einleitungstext etwa prangt ziemlich pink, ziemlich hoch oben ein ziemlich radikales Farbgerinsel - das "fictional portrait of an orgasm of Peter Noever".

Doch Elke Krystufeks Werk gerade in dieser Ausstellung auf hübsch-provokante Gender-Spiele reduzieren zu wollen wäre grob daneben. Eine derart originelle, ernsthafte und humorvolle Auseinandersetzung eines zeitgenössischen Künstlers mit einer historisch gewachsenen Sammlung sowie der Bedrohung der eigenen Musealisierung sieht man selten. Bisher wahrscheinlich sogar überhaupt noch nie.

Ein ganzes Jahr lang hat sich die durch obsessive Selbstdarstellungen bekannt gewordene Wiener Künstlerin laut MAK-Chef Noever "hineingeschraubt" in das Museum. "Sie hat das Haus besetzt, war die Erste, die man sah, wenn man in der Früh kam", schmeichelte er ihrem Ehrgeiz bei der Pressekonferenz. Was die Künstlerin freute, die daraufhin nach und nach ihre Umhängetaschen von den Schultern nahm, mit denen sie, die Sammlerin, sich massig bewaffnet hatte. Und für einen kurzen Moment wusste wohl auch Noever nicht, ob das jetzt der Beginn einer Performance werden würde.

Doch diverse öffentliche Enthüllungen sind bei Krystufek schon lange her. Zuletzt verheiratete sie als Master of Ceremony am Linzer Hauptplatz nur noch einige ihrer Kunststudierenden. Und nistete sich eben im MAK ein. Fragte Kustodinnen nach ihren beruflichen, religiösen, feministischen Vorstellungen, forschte nach für sie interessanten Objekten wie Vagina-Darstellungen, Perlenketten oder Gehirnen, bastelte Modelle, posierte mehr oder weniger nackt neben mehr oder weniger nackten Kunstwerken wie einer Statue Vally Wieselthiers. Unter Josef Engelharts Jugendstil-Kamin-Verzierung mit Adam, Eva und Schlange biss sie sicherheitshalber schon einmal in den Apfel und stellte mit MAK-Mitarbeiterinnen ein rein männlich besetztes Eröffnungsfoto der Secession (1902) nach.

Schließlich reiste sie, getrieben von Fragen nach dem Verschwinden und Bewahren, auf Spuren des 1975 im Meer verschollenen Künstlers Bas Jan Aders auf die Osterinseln. Dieser meditative Film stellt jetzt räumlich wie inhaltlich das Zentrum der "Liquid Logic"-Schau dar. Als fiktive weibliche Wiedergeburt des Künstlers tritt Krystufek in Dialog mit Systemerhalter "Dr. Love".

Wie eine "dreidimensionale Collage", so Kuratorin Tulga Beyerle, deren Zusammenhänge nicht einmal sie selbst immer verstünde, verdichtet sich rund um diesen Nukleus Krystufeks assoziatives Super-Universum: expressive Selbstporträts, durchzogen von aus Philosophie und Kunstszene gespeisten Gedankenströmen, Vitrinen voller historischer Exponate, eine riesige hölzerne Menorah, die in kleinerer Form als entfremdeter Kulturgegenstand auch im Film vorkommt, das an ein Hakenkreuz erinnernde Bücherregal T.I.L. Sogar die eigene kunterbunte Küche hat Krystufek ins MAK transferieren lassen, als sympathisches Gegenmodell zu Schütte-Lihotzkys arbeitsoptimierter Frankfurter-Küche von 1926.

Doch dieses ganze kreative Chaos scheint einem fast steril aufgeräumten Hirn entsprungen - was jedenfalls ein monströses weißes Hirnmodell andeutet, das ordentlich mit Designerlampen ausgeleuchtet ist. So richtig weiß man allerdings jetzt nicht, ob einen das eher beruhigen oder in Panik versetzen sollte. Doch was macht mehr Mut als Unruhe in den musealen Mausoleen unseres kollektiven Gedächtnisses?

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