Bawag Contemporary zeigt Filme der walisischen Künstlerin Bethan Huws

Verschieben, verrücken


Archaische Kraft: eine Szene aus "Singing for the Sea".

Archaische Kraft: eine Szene aus "Singing for the Sea". Archaische Kraft: eine Szene aus "Singing for the Sea".

Ein bulgarischer Frauenchor an der Küste Northumberlands: Sein Tanzen gegen den Uhrzeigersinn und der mehrstimmige Gesang muten ritualhaft, archaisch an. Doch nicht die Wogen des Meeres werden hier beschworen. Das Lied erzählt im Kontrast zum Ort der Aufführung von Wäldern und Bergen, von Schafhirten und jungen Mädchen in der bulgarischen Heimat der Frauen. "Singing for the Sea", so der Titel dieser visuell wie akustisch betörenden Arbeit aus dem Jahr 1993, ist Bethan Huws erster Film. Die 1961 in Wales geborene Künstlerin erzeugt hier jene subtile geografische Verschiebung und jenes feinsinnige Zusammenfügen unterschiedlicher Kulturräume, die so kennzeichnend für ihr Schaffen sind.

Bekannt wurde Huws in den 90ern mit Textarbeiten in gedruckter Form und solchen aus Plastiklettern in Vitrinen. Zudem zählen Readymades, Objekte, Performances, Fotografien, Aquarelle und Zeichnungen zu ihrem medial vielseitigen Schaffen. Egal welcher Technik sie sich bedient, fast immer ist Sprache das vorherrschende Thema. Huws erforscht die Beziehung von Sprechen und Handeln, von Erinnern und Erzählen, von Tradition und Bewusstsein, die sich über die Sprache als identitätsstiftendes Merkmal formiert.

Neben "Singing for the Sea" hat sie bisher vier weitere Filme geschaffen, die nun alle im Bawag Contemporary zu sehen sind. Auch ohne Verweis auf das nichtfilmische Werk der Künstlerin gelingt es der Ausstellung, Huws’ künstlerischen Ansatz zu begreifen und dessen Verwurzelung in der Konzeptkunst zu verdeutlichen. Denn obschon Huws entgegen aller ästhetischen Sperrigkeit atmosphärisch wirkungsmächtige Szenarien kreiert, bedürfen ihre Arbeiten oft eines Subtextes, ohne den sie weniger zugänglich wären. Beispielgebend hierfür ist etwa "A Marriage in the King’s Forest" (2009), die poetische Dokumentation einer Hochzeit in Südengland, deren Uraufführung im märchenhaften King’s Wood in der britischen Grafschaft Kent stattgefunden hat. Wie in "Singing for the Sea" geht es der Künstlerin auch hier um die Verschiebung, Verlagerung und Verrückung von Orten, Geschichten, Handlungen. Sie schlägt damit einen Bogen zu jener verstärkt in den 90ern avancierten Praxis orts- und kontextbezogener Kunst, für die das Wort "Displacement" zum Schlüsselbegriff wurde.

Der in Huws’ Arbeiten erwähnte Bezug zur Sprache kommt besonders in den anderen drei gezeigten Filmen zum Tragen. Während "The Chocolate Bar" (2006) sprachliche Mehrdeutigkeit und Missverständnisse thematisiert, lässt Huws unter ähnlichen Vorzeichen den Akteur in "Ion On" (2003) frei ersonnene Dialoge zwischen einem Kurator und einem Künstler vortragen. Die filmische Kulisse bilden Landschaften und verlassene Ruinen. Es sind menschenleere Schauplätze, die dafür prädestiniert scheinen, über das Wesen der Kunst und die Welt zu sinnieren. "Fountain" (2009) schließlich ist eine wunderbare filmische Collage von insgesamt 49 in Rom aufgenommenen barocken Brunnen. Mit Bezug auf Duchamps Urinoir und dessen ebenso legendäre Installation "Étant donnés" trägt die Künstlerin aus dem Off Redewendungen in Walisisch, Englisch und Französisch vor.

Wie in den anderen Filmen ist auch in diesem auf die Sprache nicht 100-prozentig Verlass. Erneut stößt sie an ihre Grenzen, kann ihr Versprechen, Sinn zu erzeugen, nicht einlösen. "Worauf kann ich mich verlassen?", fragte einst Wittgenstein. Den Philosophen im Hinterkopf zu haben empfiehlt sich beim Besuch der Ausstellung. Vor allem aber lernt man in Bethan Huws eine Künstlerin kennen, die zeigt, wie man aus historischen Kontexten schöpfen und trotzdem ein überkommene Formulierungen überschreitendes Werk schaffen kann.

Ausstellung

Bethan Huws "Films"

Bawag Contemporary

www.bawag-foundation.at

Bis 20. November




URL: http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/kultur/kunst/?em_cnt=398611&em_loc=77
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