Gegen-Öffentlichkeit

"Die Relevanz der Kunst nimmt auf jeden Fall zu, weil sie sich zwar nicht der tagesaktuellen, aber der brisanten, existentiellen Probleme widmet", so Gabriele Mackert.
Von Sabine Oppolzer.


Anlässlich der am Freitag beginnenden Kunsthallen-Ausstellung "Attack!" hat kultur.ORF.at mit Gabriele Mackert und Thomas Mießgang, den beiden Kuratoren der Schau, ein Gespräch geführt.

Frage: Es geht in der Schau um Kunst, Krieg und Medien. Ist das eine Gratwanderung zwischen Faszination und Grauen?

Mackert: Faszination ist etwas, was der Krieg immer ausgestrahlt hat. Unser Ansatz in der Ausstellung für die Medien ist eigentlich einer, der davon ausgeht, dass die Kriegserfahrung sich von einer persönlichen in die Medien verlagert hat. Und dass sich dadurch die eigene Beurteilung verschiebt, weil die Medien nur einen Ausschnitt präsentieren. Die Medien machen die Wichtigkeit einer Nachricht: Sie bestimmen die Länge und sie bestimmen, ob eine Nachricht überhaupt gesendet wird.

Frage: Die Kriegsbilder transportieren immer versteckte Botschaften aller beteiligten Seiten, von den Kriegstreibern wie von den Opfern. Es gibt auch historische Beispiele in der Schau, die künstlerisch bearbeitet sind.

Mießgang: Ganz wichtig ist, dass wir zeigen, wie der Krieg doppelt gefiltert wird: einerseits durch die Medien, die einen bestimmten Ausschnitt wählen, und auf der anderen Seite die Sensibilität der Künstler, die damit auch etwas anstellen. Wichtig und interessant ist an dieser Schau aber auch, dass wir einige Realitäts-Bruchstücke eingeschleust haben.

Das Spektakulärste ist vielleicht ein Film des Künstlers Sergej Bugaev, genannt "Afrika", dem aus relativ dubiosen Quellen ein Stück aus dem Tschetschenien-Krieg zugespielt wurde. Man sieht hier, wie eine russische Armee von Mudschaheddin-Kämpfern unter saudiarabischer Führung auf dem Rückzug komplett ausradiert wurde - was natürlich von russischer Seite nicht geschätzt wurde, weil man Erfolge zeigen will. Natürlich hätte diese Aufnahme im ideologischen Giftschrank verschwinden sollen.

Für uns ist es aber wichtig, solche Realitäts-Bruchstücke, die unterdrückt werden, als Gegen-Öffentlichkeiten zu den Bild-Diskursen der Macht zu zeigen.

Frage: Das ist ein Beispiel für unterdrückte Information. Es gab aber auch Fälle, wo die Kriegsberichterstattung zu Propagandazwecken verwendet wurde.

Mackert: Wir haben einen historischen Ausflug gemacht, und zwar anhand von berühmten Kriegs-Reportagen zurück bis zum Ersten Weltkrieg. Wir haben eine Station im Spanischen Bürgerkrieg, denn dort ist ja eine ganz große Partisanen-Bewegung entstanden, der auch Künstler, Intellektuelle und Fotografen angehörten. Und durch deren Teilnahme eben in der Parteinahme und im propagandistischen Einsatz ihrer Bilder oder Texte gelang es auch, sehr viel Aufsehen zu initiieren.

Danach kommt noch der Vietnam-Krieg, der durch die Reportagen und den täglichen Body Count die öffentliche Meinung in Amerika total umkippen ließ, so dass der Krieg in den USA nicht mehr führbar war.

Frage: Der Vietnam-Krieg hat ja ganz neue Dimensionen in der medialen Kriegsführung eröffnet.

Mießgang: Das ist ein ganz wichtiger Punkt auch in Zusammenhang mit dieser Ausstellung. Man kann sagen, dass die Beeinflussung der öffentlichen Meinung im Vietnam-Krieg, die Mobilisierung der Gegen-Öffentlichkeit, die letztlich zu einer Änderung der Strategie und zum Abbruch dieses Krieges geführt hat, über Medien passiert ist, die mit Zeitverzögerung gearbeitet haben.

Das waren u.a. große Bildreportagen in großen Magazinen sowie Wochenschauen. Das heißt, zwischen dem Ereignis und seiner Abbildung lag ein gewisser Zeitraum, der eine Reflexions-Distanz ermöglichte. Das wird von zahlreichen Militär-Analytikern heute als Problem aufgeworfen. Man sagt, die Kriegsführung in Bedingungen der Echtzeit schafft eigentlich die Demokratie ab. Um Gewalten teilen zu können, muss ich zeitliche Korridore öffnen, in denen überhaupt diskutiert und entschieden werden kann.

Wenn ich z.B. Kommandeur einer Zentrale bin und - mehr oder weniger virtuell mit dem Schlachtfeld verbunden - mit einer Fülle von Informationen zugemacht werde, dann ist eigentlich der Prozess der Reifung eines Gedankens ausgeschieden und ich kann nur noch intuitiv reagieren.

Frage: Wie haben sich der 11. September oder der Irak-Krieg auf die Gestaltung der Ausstellung ausgewirkt?

Mackert: Wir haben uns explizit entschieden, keinen tagesaktuellen Ausschnitt in die Schau zu nehmen. Denn wir sind nicht gegen einen Krieg im speziellen oder für einen anderen. Uns geht es um grundlegende Probleme. Deshalb haben wir uns entschieden, das Thema des 11. September im metaphorischen Sinn in die Schau zu nehmen, nämlich in einer Auseinandersetzung mit den Architekturen der Macht.

Wir haben zwei junge deutsche Künstler ausgesucht, die sich Jahre davor bei ihrem Amerika-Aufenthalt mit dem Pentagon, den Vereinten Nationen und mit dem World Trade Center auseinander gesetzt haben. Korpys/Löffler haben in einer Art "Spionage-Super-8-Film" diese Gebäude beobachtet. Sie haben gefilmt, wie die Bodyguards die Bosse zu ihren schwarzen Karossen bringen, wie man überhaupt in die Gebäude kommt.

Und sie haben sehr viele Geschichten rund um diese Gebäude recherchiert und das Ganze dann auch in multiperspektivischen Zeichnungen zu einem einzigen Puzzle zusammengesetzt, das sich aber nicht zusammenfügt. Denn je mehr Informationen man hat, je mehr man sich auf diese Arbeit einlässt, fragt man: Wohin führen diese Informationen?

Frage: Sie zeigen in dieser Schau sehr viel Realität.

Mackert: Ja, die ganze Ausstellung funktioniert wie ein Reality Check. Und zwar deshalb - das kann man in der Kunstszene ganz allgemein beobachten - weil sich Künstler wieder mehr mit dem Leben an sich beschäftigen. Sie sind sozusagen Historiker des Visuellen, eben auch der Medienbilder des Krieges, die uns nahegebracht werden. Gleichzeitig ist ihre Einflusssphäre natürlich nicht so groß wie jene der Medien.

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