Salzburger Nachrichten am 25. Oktober 2002 - Bereich: kultur
Mief der Mittelmäßigkeit

Wolf D. Prix, Eröffnungs- redner des "steirischen herbstes", warnt vor einem Wechsel "vom Schlaraffen- land zu einem Land am Rande des Schlafes".

MARTIN BEHR

Kritik an der kulturpolitischen Situation in Österreich prägte jene Rede, mit der Architekt Wolf D. Prix von "Coop Himmelb(l)au" Donnerstagabend im Grazer Schauspielhaus den "steirischen herbst" eröffnete. Die offizielle österreichische Kulturlandschaft lasse sich mit ihrem konservativen und intellektuellfeindlichen Hintergrund an der mentalen Kulturkarte des Österreichers festmachen. "Klimt und Schiele bekommen ein Museum, obwohl sie im Weltgeschehen der Kunst eine geringe Rolle spielen", meinte Prix und befand, "dass die engen Grenzen unseres kleinen Landes in den letzten Jahren immer enger wurden".

Bezugnehmend auf das heurige Festivalmotto "Fremdkörper" erklärte Prix, dass Fremdes, Andersartiges, Eigensinniges und Unsicheres ausgegrenzt werde und Fremdheit, die eigentlich Neugierde am Anderen wecken sollte, ausgeschlossen wurde. "Die wirkliche Gefahr besteht aber darin, dass uns die Angst vor Fremdkörpern vom Schlaraffenland zum Land am Rand des Schlafes werden lässt und der Mief der Mittelmäßigkeit alles zudeckt, was kritisch über den Tellerrand zu blicken droht", sagte der Architekt. Er forderte von der Politik ein, "sich nicht hinter uns zu stellen, sondern vor uns": Diese sollte es nicht zulassen, "dass Kunst und ihre Folgen vom Stammtisch in aggressivster Sprache verunglimpft werden und aufgebrachter Populismus die Freiheit der Kunst verhindere".

Nach Ansicht des Redners scheine das Land den Humor verloren zu haben und reagiere zunehmend auf Polemiken "sauertöpfisch" und mit Zensur-Forderungen. Österreich berufe sich gerne auf das Weltkulturerbe, vergesse aber zugleich, dass Erneuerer und Erfinder hierzulande nicht geliebt werden. In Frage gestellt, gebe sich Österreich wiederum freud- und lustvoll einer fundamentalen Selbstüberschätzung hin, egal ob im Skifahren oder in der Kunst. Einer Kunst freilich, die nicht unruhig mache, sondern sich schon bewährt habe und im Museum hänge. "Und Quotenidioten beginnen die Besucherzahlen von herumirrenden Touristen als Beweis dafür heranzuziehen, dass das Mittelmaß das Maß aller Dinge sei."

Für die Zukunft äußerte Prix die Befürchtung, dass Künstler die benötigten Freiräume "täglich neu erschaffen müssen" und dabei "die Wucht der Arroganz als Durchsetzungskraft benötigen". Von einer in Politik und Kultur angewandten "Strategie der 3 Vs" grenzte sich der Architekt ab: "Statt sich zu informieren, verdächtigt man, statt Konflikte auszutragen, verleumdet man, und statt Gegner zu respektieren, verunglimpft man sie."

Zur Rolle der Architekten merkte der Architekt Wolf D. Prix an, dass jenseits der "Stimmungsbebilderer" das Feld für "Strategiedenker", die nicht "an Erfüllungszwang leiden", frei werde.