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Schaukästen und virtuelle Museen am Wiener Karmelitermarkt/ Von Wenzel Müller
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Überraschungen im Grätzel

Die Wendeltreppe im Sigmund-Freud-Museum scheint überhaupt kein Ende zu haben. Immer tiefer steigt der Besucher hinab. Ein Abstieg zugleich ins eigene Unbewusste? Dem Besucher wird in jedem Fall etwas schwindlig. Endlich ist er unten angekommen. Eine Klappe öffnet sich, er springt in ein tiefes Loch und findet sich in einem röhrenförmigen Tunnel wieder, gefangen wie in einem bösen Traum. Nur schnell wieder hinaus, ganz weit hinten signalisiert ein schwaches Licht den Ausgang. Wieder draußen, atmet der Besucher erst einmal erleichtert auf. Der Spuk ist vorüber, endlich wieder in Freiheit.
Der Besucher hat eine ähnliche Odyssee hinter sich wie ehedem Alice im Wunderland. Doch keine Bange, das Sigmund-Freud-Museum in der Berggasse kann man nach wie vor unbesorgt aufsuchen, ohne an Leib oder Seele Schaden zu nehmen.

In ihm führt auch keine neue Wendeltreppe in die Tiefe. Wir haben vielmehr das virtuelle Sigmund-Freud-Museum besucht, das die Medienkünstler Matthias Fuchs und Sylvia Eckermann in ihrer Computer-Installation "Expositur - ein virtueller Wissensraum" errichtet haben.

In ihm führt auch keine neue Wendeltreppe in die Tiefe. Wir haben vielmehr das virtuelle Sigmund-Freud-Museum besucht, das die Medienkünstler Matthias Fuchs und Sylvia Eckermann in ihrer Computer-Installation "Expositur - ein virtueller Wissensraum" errichtet haben.
Auch dieser Besuch ist im Grunde gefahrlos. Es handelt sich um eine Art Abenteuer im Kopf. Wir sitzen in einem aufgelassenen Marktstand am Wiener Karmeliterplatz, um uns herum ein türkisches Kebabhaus, ein Blumengeschäft und ein Gemüseladen. Von hier, dem Präsentationsraum des digitalen Projekts, unternehmen wir unsere Reise - die möglichen Destinationen sind zehn Wiener Museen. Dabei bewegen wir uns tatsächlich nicht vom Fleck, bleiben immer auf der harten Bank sitzen, vor uns eine große Leinwand. Mit der einen Hand bedienen wir die Tastatur, mit der anderen die Maustaste. So geben wir Tempo und Richtung vor, wie sich die Museumsbesucher-Figur bewegen soll, in die wir nun für Momente schlüpfen.
Per Klick durch die Museen
Pathetische Klänge empfangen uns im Heeresgeschichtlichen Museum. Von der Wand blickt Väterchen Stalin. Die rot ausgelegten Gänge schweben seltsam in der Luft. Man kann von einer Ebene in die andere springen. Dann ein Besuch im Naturhistorischen Museum: An beiden Seiten des Ganges ein großes Aquarium, in dem der inzwischen fast völlig ausgerottete Donaufisch "Hausen" schwimmt. Wir steigen höher und kommen an eine Stelle, von wo wir selber ins Wasser springen können. Der Museumsbesucher taucht durch das Becken. Mit einem Klick wechseln wir ins Theatermuseum. Wir sehen an den Wänden Porträts von Nestroy und Raimund, dazu historische Aufnahmen vom Theater in der Leopoldstadt und dem Carltheater.
Dieser Museumsbesuch bringt die scheinbar disparatesten Dinge zusammen. Was hat Stalin schon mit Nestroy oder gar dem Fisch Hausen zu tun? Mehr, als man zunächst glauben könnte. Alle haben einen mehr oder minder direkten Bezug zum 2. Wiener Gemeindebezirk. Der war nach dem Zweiten Weltkrieg sowjetische Besatzungszone, hier erlebte das so genannte Wiener Vorstadttheater Ende des 18.

Jahrhunderts seine Blütezeit, und in der angrenzenden Donau hatte der Fisch noch in der Biedermeierzeit seine Laichplätze.
Eine recht gewaltsam konstruierte Verbindung!, mag nun mancher einwenden. Christoph Steinbrener (41) würde ihm sicher gar nicht widersprechen.

Jahrhunderts seine Blütezeit, und in der angrenzenden Donau hatte der Fisch noch in der Biedermeierzeit seine Laichplätze.
Eine recht gewaltsam konstruierte Verbindung!, mag nun mancher einwenden. Christoph Steinbrener (41) würde ihm sicher gar nicht widersprechen. Er hatte die Idee, im Rahmen seines Projekts "Unternehmen Capricorn" (benannt nach einem englisch-amerikanischen Expeditionsfilm zum Mars aus dem Jahr 1978) verschiedene Wiener Museen um einen Beitrag zu dem nicht näher eingegrenzten Thema 2. Wiener Gemeindebezirk zu bitten. Der Ausstellungsort: leer stehende Geschäftslokale rund um den Karmelitermarkt.
Das digitale Kunstwerk von Fuchs und Eckermann hat also sozusagen ein physisches Äquivalent. Zwischen Billa und Schneiderwerkstatt haben die Museen temporäre Dependancen eingerichtet. Für das Stadtteilprojekt sind sie quasi auf die Straße gegangen. Tagsüber muss der Betrachter geradezu die Nase an die Scheibe drücken, um etwas erkennen zu können: Den freien Blick behindert eine UV-Folie, die aus konservatorischen Gründen vor die Ausstellungsobjekte gespannt ist. Doch umso eindrucksvoller erstrahlen die Schaukästen in der Nacht (Sponsor: Zumtobel - "Partner für Lichttechnik") und bekommen etwas von Wunderkammern. Der zufällig des Weges kommende Passant sieht plötzlich hinter Glas das Präparat eines dreieinhalb Meter langen Hausen. Oder in einem anderen Schaufenster die symmetrisch strenge Nachbildung einer sowjetischen Wachstube samt Propagandamaterial. Seltsame Überraschungen im vertrauten Grätzel, das nur einen Steinwurf vom Zentrum entfernt liegt und doch eher ein Schattendasein führt.
Etwa 30 m² haben die Museen in den vormaligen Geschäftslokalen zur Verfügung, um nicht zuletzt sich auch selber zu präsentieren. Welche wunderbaren Erfindungen hätte das Technische Museum aus seinen Beständen zeigen können! Aber nein, ganz unspektakulär stellt es mehrere Beinprothesen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs aus. Ein sympathischer Zug! In ihrem Haupthaus ließen sich mit diesen Exponaten kaum Besucher anlocken, da ziehen eher Ausstellungen mit PS-starken Autos. Das "Unternehmen Capricorn" bietet den Museen auch die Möglichkeit, Sammlungsgegenstände zu präsentieren, die sonst kaum aus den Depots ans Licht der Öffentlichkeit kommen.
Das Volkskundemuseum erinnert mit ausgestellten Stempeln für Weißstickerei an das früher im Viertel ansässige Textilgewerbe. Das Museum Moderner Kunst zeigt das "Johannes-Vogl-Sterbezimmer".
Mit Bett, Tisch, Wasserkrug - alles ist genau so arrangiert, wie das Zimmer in der Sterbeminute des Wiener Komponisten ausgesehen hat. Dazu werden zusätzlich ein handgeschriebenes Notenblatt und Lebensdaten von Johannes Vogl präsentiert. Allein, dieser Johannes Vogl hat nie gelebt! Wir haben es hier mit einer Installation des belgischen Künstlers Guillaume Bijls zu tun, die um das Thema Wahrheit und Täuschung kreist.
Ein Museum sammelt und forscht und kommt damit einem spezifischen Bildungsauftrag nach. Nur: Genauso wie die grauen Schaukästen und die dozierende Ernsthaftigkeit immer mehr aus den Ausstellungen verschwinden, so bröckelt auch zunehmend bei vielen Museumskuratoren - wie überhaupt in der wissenschaftlichen Welt - der Glaube an so etwas wie unerschütterliche Gewissheiten und ewige Wahrheiten. Zu den Paradoxien der Wissensgesellschaft gehört, dass wir uns auf sichere Wissensgründe, die wir wie festen Boden unter den Füßen zu haben glaubten, immer weniger verlassen können. Schon jetzt vermögen viele Museen gar nicht mehr ihre Sammlungsbestände ob deren überquellender Fülle zu überblicken. "Wenn man in den vatikanischen Museen jedes Exponat jeweils eine Minute betrachten wollte, würde man dafür fünf Jahre benötigen", schreibt Christoph Steinbrener in seinem Katalogbeitrag zum "Unternehmen Capricorn".
Steinbrener ist Bildhauer (und hatte einmal im 2. Bezirk ein Plattengeschäft). Für sein Projekt suchte er den Dialog mit der Wissenschaft. Traditionell sind Kunst und Wissenschaft zwei streng getrennte Bereiche: hier die freie, dort die strukturierte Arbeit. Doch so verschieden sind die beiden Arbeitswelten gar nicht, konnte Steinbrener im Laufe seiner zweijährigen Vorbereitung auf das Projekt feststellen. Im Gegenteil, gerade der ganz gewöhnliche Zufall würde oft in beiden eine zentrale Rolle spielen. Bei den Rundgängen durch die Depots erlebte er, wie die Kuratoren immer wieder überraschende Entdeckungen machten - und sich von ihnen inspirieren ließen.
Die Gestaltung ihrer Dependancen konnten die Museumskuratoren selbst vornehmen. Für die digitale Aufarbeitung durch die Medienkünstler Fuchs und Eckermann gaben sie ihr Material sozusagen aus der Hand. Bei manchen mag das zunächst mit etwas Bauchweh verbunden gewesen sein. War das Projekt doch neu und das Ergebnis nicht absehbar: Das Künstler-Duo strebte eine Kombination von Erkenntnis und Erlebnis an, von musealer Ernsthaftigkeit und Spiel: "Unser Versuch besteht darin, akademische Erfahrungen aus dem Bereich der Wissensvermittlung und Wissensrepräsentation mit dem erlebnisorientierten Genre der Spielewelt zu verknüpfen."
Konkret sah die Arbeit so aus: Fuchs und Eckermann kauften im Geschäft ein handelsübliches Computer-Spiel, und zwar Game Engine UNREAL, und schufen in die bereits vorgegebene Computer-Landschaft Museumsbauten, leuchteten die Räume aus, behängten die Wände mit Exponaten, installierten so genannte Trigger, die Türen aufgehen lassen oder zusätzliche Informationen liefern. Kurz gesagt: Sie schufen die Architektur für die Ausstellung.
"Können die Figuren gar nicht miteinander kämpfen?" Der jugendliche Besucher in der Expositur am Karmelitermarkt ist sichtlich unzufrieden. Frau Eckermann versucht ihn zu trösten und zeigt ihm, mit welchen Befehlseingaben er es schafft, dass die Figuren wenigstens einen Salto rückwärts machen.
Alles nur eine Frage der Programmierung, aber zu weit wollten sich die beiden Medienkünstler nicht von einem gewöhnlichen Museumsbesuch entfernen. Entscheidender Unterschied: Im realen Museum sind der bedächtige Schritt und die kontemplative Versenkung gefragt, hier im virtuellen muss man "springen wie Super Mario, laufen wie Clara Croft und stets beweglich bleiben wie Pacman".
Junge und ältere Besucher
Im Schnelldurchgang hat man den Museumsbesuch nach sieben Minuten hinter sich, kann aber in den Räumen auch ewig verweilen. Vier Monate haben Fuchs und Eckermann an ihrem virtuellen Wissensraum gearbeitet. Der Zufall (schon wieder!) wollte es, dass gerade zu der Zeit eine neue Technik aufkam, die es ermöglichte, auch Schriften in das Bild zu kopieren. "Das war für uns eine große Hilfe. Sonst hätten wir vorwiegend mit assoziativem Material arbeiten müssen", sagt Eckermann.
In die Expositur am Karmelitermarkt kommen viele junge Besucher - was zu erwarten war, spielen sie doch den ganzen Tag hier am Platz und bringen eine wichtige Voraussetzung mit: Freude am Computerspiel. Dass die Action etwas rar ist, nehmen sie billigend in Kauf. Eine angenehme Überraschung für die Medienkünstler ist, dass sich auch viele ältere Besucher einfinden, gestandene Museumsbesucher gewissermaßen, die keine Scheu vor der ungewohnten Technik haben. Hier können sie, was sonst nicht möglich ist, von einem Museum ins andere im wahrsten Sinne springen und überraschende Querverbindungen herstellen.
Gehört dem digitalen Museum die Zukunft? Wird es das reale verdrängen? "Überhaupt nicht", sagt Sylvia Eckermann. "Genauso wenig wie das Fernsehen das Buch verdrängt hat." Die Installation sieht sie viel mehr als ein zusätzliches Angebot, das die Museen im Sinne einer Vernetzung mit anderen Institutionen nutzen können. Die Computersimulation kann zwar den Ausstellungsgegenstand in seiner digitalen Auflösung zeigen, nicht aber seine Aura vermitteln. Das bleibt der entscheidende und uneinholbare Vorteil des realen Museums - und, dass man sich in ihm tatsächlich bewegen kann - und nicht bloß eine Maustaste.
"Unternehmen Capricorn" dauert noch bis zum 30. Juni 2001. Info: 0699/120 91 752, www.t0.or.at/capricorn/expositur.


Erschienen am: 01.06.2001

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