Quer durch Galerien
Den Wald vor lauter Bäumen sehen
Von Claudia Aigner
Unlängst schwante mir in meiner Küche Mythisches.
Nein, nicht wie einer gewissen Leda, der der Zeus schwante (der
"Akkordbefruchter" vom Olymp, der olympische Sextourist im alten
Griechenland) und die dann auch noch eierte. Nämlich legte Leda zwei Eier,
aus deren einem die schöne Helena schlüpfte, der hormonelle Grund für den
Trojanischen Krieg. Mein Schwanen war dagegen lediglich ahnungsvoll, nicht
göttervatervoll. Vielleicht lag's ja daran (das Schwanen mein' ich),
dass der Trojanische Krieg neuerdings nicht länger währt als eine mittlere
Portion Popcorn. (Irgendwie logisch, denn wer säße schon zehn Jahre lang
im Kino.) Und daran, dass es nicht nur wegen der Filmlänge, sondern
überhaupt ein trojanischer Blitzkrieg ist, der bestenfalls, wenn man alle
Sonnenuntergänge zusammenzählt, ein paar Tage vor sich hinmetzelt. Der
Trojanische Krieg im Fastfood-Zeitalter. Weil die McDonaldisierung um sich
greift, auch wenn Brad Pitt, der blondeste Achill seit es Homer gibt,
immerhin kein Häubchen der McKöche (aus der flotten Big-Mac-Küche) auf
hat, während er Hektor nicht ein paar Mal um die Stadtmauer jagt, sondern
ihn ungesäumt und zügig niederstreckt. Und das Trojanische Pferd wird da
auch in heimwerkerischer Rekordzeit ruckizucki zusammengezimmert. Und
nicht einmal Zeit für einen Götterhimmel ist. Oder Zeit für die drei
Apfelkonkurrentinnen, die auf den Titel der "Miss Olymp" scharf sind.
Nicht im - enttäuschend diesseitigen - Kino, nein, in meiner
Rührschüssel sollte ich endlich eine Ahnung vom Wirken des Zeus (und der
andern) bekommen: ein Zeichen von olympischen Ausmaßen. Ein Hühnerei, aus
dem gleich zwei Dotter in den Karottenpufferteig plumpsten. Ein Gruß von
Kastor und Polydeukes (die sich das andere Ei der von Zeus umflatterten
Leda teilten, die Brüder der schönen Helena)? Obwohl: K. und P. waren ja
keine eineiigen Hühnerzwillinge, Huhn Kastor und Huhn Polydeukes. Doch sie
haben mir eindeutig ein Zeichen gegeben. Wie auch Fred Eerdekens laufend
Zeichen von sich gibt (die freilich weniger kryptisch sind als der
"Dotterjargon" von Kastor und Polydeukes).
Galerie Insam: Sechs
Schwalben machen einen Sommer
Mit einer Schwalbe kriegt das
wahrscheinlich nicht einmal der Eerdekens hin, dass sie ausnahmsweise doch
schon einen Sommer macht. Aber ich wette, dass er (denn wer, wenn nicht
er) es schaffen würde, fünf oder sechs Schwalben so zu rupfen und zu
zerzausen, dass sie gemeinsam eine komplette Jahreszeit ergeben, nämlich
die warme. Zumindest, wenn man sie mit einem Scheinwerfer anstrahlt. Dann
wird an der Wand dahinter, im Schatten, fein säuberlich das Wort "Sommer"
zu lesen sein. Weil Eerdekens (bis 2. Juli in den neuen Räumen von Grita
Insam, Grashofgasse 3, im Heiligenkreuzerhof) ein begnadet subtiler
Meister des Alphabetismus ist, der den analphabetischen Dingen geduldig
und mit streng kalkuliertem Fingerspitzengefühl das Schreiben beibringt.
Nennen wir es Lichtkalligraphie. Beziehungsweise werfen seine
ausgetüftelten, diskret poetischen Objekte einen schönschriftlichen
Schatten. Auch Bäumchen sind gemeinhin Analphabeten. Wenn dem einmal
nicht so ist, dann ist das erstens: ein Baumwunder, zweitens: eine
mysteriös exzentrische Form der Photosynthese (die hier die Umwandlung
organischer Substanzen — grüner Blätter — in
anorganische, also Buchstaben, bewirkt) oder es ist drittens: schlicht
Fred Eerdekens, der in dem Fall mit einem barocken Landschaftsfriseur
nicht wenig gemein hat, weil er das Grünzeug domestiziert. Aber viel
sensibler als mit der Kettensäge. Sogar die Blätter verbiegt er einzeln.
So dezent lichtet er den Schatten seiner sechs klarerweise künstlichen
Bäumchen (denn im Herbst werden ja die echten Laubbäume immer "sprachlos",
wenn sie sich bis aufs nackte Holz entblättern), dass der staunende
Betrachter zwar das "Menetekel" hinten an der weißen Wand liest, aber
ansonsten vorne in der Botanik die Bäume vor lauter Wald nicht sieht, oder
eigentlich: die Blätter vor lauter Laub nicht sieht, die Einzelheiten (die
Schriftzeichen) nicht im dichten Grün ausmachen kann. "Mhmmmhm",
menetekeln sie. Ist das das Waldesrauschen? (Nein, das wäre ja eher
"Shssshs". Oder "Fhssshf.") Das Opus "Passage": genial einfach, aber
auf simple Weise kompliziert (oder kompliziert simpel). Eine ganz
unverdächtig, ganz analphabetisch geschwungene Straße schwebt, auf
Brückenpfeiler gestützt, über dem Boden. In Spielzeuggröße. Und wundersam
beschriftet ihr Schatten die Wand passend dazu mit dem Wort "Passage". In
makelloser Schreibschrift. Was Existenzialistisches? Weil der Mensch halt
ein Wanderer ist (oder ein Autofahrer, aber hier doch eindeutig ein
Fußgänger)? Die unscheinbar winzigen Miniaturpersonen auf der Bahn, sofern
sie nicht zwischenmenschlich, sprich: kommunikativ zu zweit am Straßenrand
rasten, gehen vielleicht gerade den Weg allen Fleisches, den Lebensweg.
Per pedes, wie gesagt (sonst hätte es ja auch der Weg allen
Wienpendlerfleisches sein können: die Südosttangente). Wie Eerdekens,
der Schattenbändiger, Sprache und Gegenstand, intellektuelle Spielerei und
dreidimensionale Sinnlichkeit in absoluter Disziplin vereint, beeindruckt
mich fast bis zur Sprachlosigkeit. Nicht zuletzt bei jenem (nicht
ausgestellten) Holzkonstrukt, das gleich zwei Wörter, je nach dem Winkel
der Beleuchtung, ergibt: "Ego" und "God". Ein vielsagendes Begriffspaar,
gibt es doch den Atheismus aus Egoismus ("Wenn es Götter gäbe, wie hielte
ich's aus, kein Gott zu sein! Also gibt es keine Götter" - also sprach
Nietzsches Zarathustra) und es gibt den göttlichen Egoismus: "Ich bin der
Herr, dein Gott, du sollst nicht andere Götter haben neben mir."
Galerie Ariadne: Schwanengesang im ersten Bezirk
Der
Ferdinand Meli- char ist ein Grobian. Ein Barbar mit einem ungehobelten
Pinsel, der seine Figuren oft bis zur totalen Unpersönlichkeit reduziert.
Doch findet er immer wieder den Ausgleich zwischen kompositorischem Willen
und Zügellosigkeit. So manches seiner Bilder ist allerdings gerade noch
expressiv und noch nicht beliebig. Farblich ist er auf kultivierte Art
verwildert, also gar nicht sehr. Vielmehr farbsicher und mächtig des
Bunten. Noch bis 3. Juli dauert der rabiate Schwanengesang der Ariadne
(Bäckerstraße 6), wenngleich die Galerie dann nicht in den Ruhestand
diffundiert (wie Galerist Ferdinand Netusil), sondern im Herbst, nach der
Amtsübergabe an den Sohn, vom ersten Bezirk weiterzieht in den billigeren
vierten.
Galerie V & V: Sind Schuh-
löffel denn
jemals eindeutig? Seine selbstgenügsamen, also im "richtigen" Leben
unbrauchbaren Schmuckstücke und seine Gebrauchsgegenstände kommen aus
demselben Universum (einem Kosmos der verspielt strengen Formen, die durch
ihre handwerkliche Gewissenhaftigkeit bestechen). Den Schuhlöffel gibt's
auch als Brosche. Weil er nicht so penetrant eindeutig ist und man es
diesem gebogenen T nicht auf Anhieb anmerkt, dass man sich damit in seine
Schuhe hineinlöffelt. Das Salatbesteck ist auch nicht bloß
"salatgenügsam". Es funktioniert (wie die Ringe oder Armreifen) genauso
gut als Kleinskulptur. Noch dazu, wo es sich nicht wie herkömmliche
Salatblattschleuderinstrumente von selbst erklärt: zwei schlichte
Acrylstreifen mit Schlitz in der Mitte, die sich zu einem Kreuz
zusammenstecken lassen. Die Stühle freilich sind hintern- und
rückenfeindlich, dem Sitzfleisch bis zur ultimativen Ungemütlichkeit
entfremdet. Aber frappierend schön in ihrer prägnanten Geradlinigkeit.
Die Funktion folgt der Form. Stephan Fillitz, bis 3. Juli bei V & V
(Bauernmarkt Nr. 19).
Erschienen am: 25.06.2004 |
. |
Viele Aktivitäten im Themenjahr
Albertina: 221.000 Besucher kamen
Quer durch Galerien
ARGE- ALP- Preise für Vorarlberg - Morak lobt in NY heimische
Architekten
Madrid: Renaissancewerk entdeckt
Ausstellung mit Werken von Otis Lauberts
Kunstsinnig
Quer durch Galerien
KunstHausWien: Niki de Saint Phalle
Quer durch Galerien
|
. |