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derStandard.at | Newsroom | Kultur | Bildende Kunst 
25. Februar 2009
22:35 MEZ

Obsessives Streben nach Ästhetik
Buchtipp:
Yves Saint Laurent & Pierre Bergé: "Die Sammlung" (Collection Rolf Heyne, München 2009, 280 Seiten, Euro 75,-)

In Frankreich gleicht Geschmack einer Religion. Zu deren treuesten Vertretern gehören traditionell die Couturiers. Paris ist natürliches Epizentrum dieser Obsession. Bekenntnisse zu Dekadenz, Tradition und Sinnlichkeit, gepaart mit luxuriösem Geschmack, der in opulenten Stil mündet, bildeten den Grundtenor des Lebens- und Kunstverständnisses von Yves Saint-Laurent und Pierre Bergé.

Ungeachtet der Versteigerung ihrer Sammlung bleibt deren Einmaligkeit für die Ewigkeit bewahrt. Nach dem Tod Saint Laurents und dem Beschluss Bergés, die Sammlung zu veräußern, dokumentierten Autor Robert Murphy und Fotograf Ivan Terestchenko die einzigartigen, exzentrischen Wohnungen und Ateliers. Die nun vorliegende bibliophile Monografie illustriert eindrucksvoll die obsessive Komplexität des Selbstverständnisses von Saint Laurent in seinem Sinn für Stil, Geschmack und Schönheit als Lebensinhalt. Weniger die einzelnen Exponate, deren Einzelwerte immens sind, mehr noch beeindruckt die Eigenständigkeit, die exzentrische Mischung moderner Gemälde mit Art-déco-Interieur, mit Renaissance-Fresken, klassizistischen Skulpturen. Jeder einzelne Wohnsitz in Paris, Tanger, Deauville illustriert Sehnsucht und Kunstsinn des nach aristokratischer Dekadenz strebenden Sensiblen. Jeder Raum zeitigt Referenzen auf temporäre Abschnitte des Gesamtoeuvres des nicht nur in Bezug auf Kleidung geschmacksbildenden Designers und Couturiers. Reduktion der Moderne, gepaart mit opulentem Pathos, Minimalismus und Antike, Exotik und Pop-Art, literarische Zitate zeitloser Ästhetik.

Als Conclusio sei Pierre Bergé zitiert: "Es ist überraschend zu sehen, wie dieser Modeschöpfer, der so sehr auf seine Zeit ausgerichtet war und sie wie keiner sonst verstand, sich zu schützen und in einem für ihn erschaffenen Traum zu leben wusste. Vielleicht ist es das, was man Genie nennt." (Gregor Auenhammer / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.2.2009)

 

 

Rund 1500 Kunstsammler und Zaungäste genossen die spektakuläre Atmosphäre im Grand Palais.


Constantin Brancusis "Madame L. R." spielte den Weltrekord von 29,18 Millionen Euro ein.


Gestatten - Moujik IV, Yves Saint Laurents Bouledogue francais


Rekordergebnis für YSL letzte Kollektion
Fünf Jahrzehnte sammelten Yves Saint Laurent und Pierre Bergé, in nur drei Tagen versteigerte Christie’s jetzt den Großteil der Kollektion. Die beeindruckende Bilanz: 374 Millionen Euro - Mit Videos

Paris - Vergangenen Samstag um Punkt neun Uhr früh hatten sich die Tore des Grand Palais geöffnet, bis Montag Mittag erwiesen schließlich stattliche 30.000 Besucher der hier präsentierten Sammlung Yves Saint Laurent & Pierre Bergé die letzte Ehre. In zeitgenössischen Maßstäben fällt das in die Kategorie Massenansturm. Noch vor dem ersten Hammerschlag des Auktionators hatte Paris die bevorstehende dreitägige Auktion und die Schaustellung zu einem Evénement von mythischer Beschaffenheit deklariert.

Das gesamte Wochenende über schlängelten sich Menschenmassen um das anlässlich einer Weltausstellung erbaute Gebäude, stundenlanges Warten war Programm. 1900 hatte das Grand Palais 50 Millionen Besucher begrüßt, und das thematische Spektrum im Inneren war so vielseitig, dass man der Präsentation den Spitznamen "Welttrödelbude" verpasste.

Christie's und Bergé scheuten aktuell keine Mühen, um die in fünf Jahrzehnten zusammengetragene Sammlung zu inszenieren. Eine Million Euro soll allein der Aufbau verschlungen haben. Die verfügbaren 1200 Sitzplätze waren seit Wochen ausreserviert, 350 Medienvertreter durften das Spektakel verfolgen. Und aus dieser Perspektive schrumpfte der in einen eleganten Smoking gehüllte Christie's-Auktionator François de Ricqlès am 23. Februar gegen 19.00 Uhr fast zu einem Zwerg. 61-mal sollte sein Hammerschlag den Verkauf besiegeln, 59 Besitzerwechsel wurden es in der Kategorie "Art Impressionniste et Moderne" dann tatsächlich: Edgar Degas' auf Papier gemalte Paysage d'Italie (457.000 Euro) eröffnete den Reigen, das Schlusslicht war Paul Klees auf Öl gebannte Gartenfigur (3,98 Millionen Euro). Für zwei Werke Pablo Picassos blieb das Interesse deutlich unter dem Limit, darunter auch für das auf 25 bis 30 Millionen Euro taxierte Instruments de musique. Dazwischen notierten die Christie's-Mitarbeiter fünf Künstlerweltrekorde, angeführt von Les coucous von Henri Matisse, für das ein anonymer Bieter 35,9 Millionen Euro bewilligte.

Dreimal warteten in Paris ansässige museale Institutionen den finalen Hammerschlag ab und machten im Anschluss von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch: Edouard Vuillards Les Lilas (385.000) sowie James Ensors Au Conservatoire (577.000) wechseln nun in den Besitz des Musee d'Orsay, De Chiricos Il Ritornante (11,04 Mio) in den Bestand des Centre Pompidou. Am Ende der ersten Sitzung verbuchte man mit einem Total von 206 Millionen Euro den höchsten jemals in Europa erzielten Auktionsumsatz sowie das beste weltweit jemals für eine Privatsammlung erzielte Ergebnis.

Anderntags verteilte man sämtliche der 111 angebotenen Silberobjekte (19,88 Mio.), wovon allein die aus dem Königshaus Hannover stammende Sammlung von 14 Pokalen mit 6,13 Millionen die Erwartungen um das Fünffache übertraf. Die Galerie Kugel, die Saint Laurent und Bergé diese Kunstkammerobjekte einst verkaufte, holte sich drei zurück, darunter den Silberpokal der Stadt Osterode für 853.000 Euro. Auch die Art-Deco-Spezialisten Robert und Cheska Vallois nutzten die Gelegenheit und ließen für Eileen Grays "Drachen"-Fauteuil den Weltrekord von 21,9 Millionen Euro springen.

Für die beiden im Vorfeld der Auktion von China beanspruchten und per Gerichtsbeschluss freigegebenenen Brunnenfiguren aus dem 18. Jahrhundert bewilligte ein Telefonbieter je 15,74 Millionen Euro. Am Ende des dreitägigen Auktionsmarathons bilanzierte der Sale No. 1209 mit 373,93 Millionen Euro. Einzig der durch das Grand Palais streunende Bully Moujik IV., Saint Laurents vierbeiniger Gefährte, blieb von diesem spektakulären Ergebnis - trotz tosendem Schlussaplaus um 21.44 Uhr Ortszeit - völlig unbeeindruckt. (Olga Kronsteiner / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.2.2009)

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