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Kunstberichte

Der Schamane der Systemtheorie

Die Schirn Kunsthalle Frankfurt zeigt derzeit eine Retrospektive auf den deutschen Malerstar A. R. Penck
Illustration
- A. R. Pencks „STANDART“ aus 1970 bis 1972.  Foto: A.R. Penck, courtesy Galerie Michael Werner

A. R. Pencks „STANDART“ aus 1970 bis 1972. Foto: A.R. Penck, courtesy Galerie Michael Werner

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Der Maler A. R. Penck – geboren als Ralf Winkler 1939 in Dresden – gehört neben Georg Baselitz oder Gerhard Richter zu den großen Stars der deutschen Malerei nach 1945.

Mit dem kürzlich verstorbenen Jörg Immendorf arbeitete er kurz im Kollektiv, ließ aber auch andere Vereinigungen hinter sich, nachdem er 1980 aus der ehemaligen DDR ausgebürgert wurde. Seine Malerei hatte schon in Dresden, scharf vom sozialistischen Regime kritisiert, mehr mit Ethnologie, Art brut und Kinderkunst als mit Realismus zu tun.

Zwischen Ost und West

Nebenbei interessierten A. R. Penck die Systemtheorie und der politische Protest gegen den kalten Krieg zwischen Ost und West. Daher nannte er seine frühen Historiengemälde, im Stil zwischen Höhlenmalerei und Graffiti angesiedelt, auch ironisch "Weltbilder" – in ihnen balancieren Strichmännchen gestenreich auf Brücken zwischen zwei Kontinenten. Penck bezeichnete damals den Osten Deutschlands als Wüste, den Westen als Dschungel. Politische Konzepte begleiten auch seine "Standart"-Serie.

Legendärer Name

Zur Demaskierung des real existierenden Sozialismus der DDR wählte er einen Übertitel, der auch heute noch andere Erinnerungen auslöst: "Mike Hammer", der bekannte Held der Mickey Spillane Trivial Detektivromane, diente ihm nebenbei als eines seiner vielen Pseudonyme.

Der Künstlername aber, mit dem er in die Kunstgeschichte einging, A. R. Penck, ist eine Mischung seines Vornamens und dem des Dresdner Eiszeitforschers Albrecht Penck (1858-1945).

Gedanklich integriert sind die krisenhafte Identität des Künstlers im Allgemeinen und seine persönliche Neigung zu schamanistischen Figuren mit gehobenen Armen oder Vogelköpfen in typisch postmoderner Erscheinung. Neben solchen Selbstdarstellungen gibt der mehrfache documenta-Beiträger sich aber auch halbwegs realistisch wieder, schreibt zahlreiche Künstlerbücher und wandte sich – ähnlich den anderen Vertretern der "neuen Wilden" – auch der Skulptur zu. Mit 200 Werken – von der Bronzeskulptur über die wichtigsten Gemäldezyklen bis zu Grafiken und Büchern – ist diese Schau der Schirn Kunsthalle eine Retrospektive der letzten 40 Jahre mit üppigem Katalog samt Expertenbeiträgen. Daher wandert sie auch weiter in die Kunsthalle Kiel und ins Musée d’Art moderne in Paris.

Free Jazzer Penck

Seine einmalige Verbindung von "Primitivismus" und Computergrafik bezeichnet Penck selbst als eine Art Konzeptkunst, die expressiv bis aggressiv im Pinselstrich auftritt und sich gegen das romantisch-expressive Stimmungsbild und jede elegante Figuration verwehrt.

Auch in seinen Schriften und als Free-Jazzer am Schlagzeug geht es dem Freund von Liedermacher und Lyriker Wolf Biermann um ein universales Vokabular mit Erinnerungen an den Ursprung der Malerei in der Steinzeit.

Als Aktualisierung mixt er die Zeitgeschichte und die Formeln der Naturwissenschaft als Bildzeichen dazu und zeigt damit einen großen Anspruch als Mehrfachbegabung auf einen unverkennbaren Stil.

Der Künstler lebt heute, nach seiner Emeritierung als Kunstprofessor in Düsseldorf, schon seit 2003 in Dublin.

A. R. Penck Retrospektive

Schirn Kunsthalle

Frankfurt

Ingrid Pfeiffer (Kuratorin)

Bis 16. September

www.schirn-kunsthalle.de

Elementargeist.

Mittwoch, 22. August 2007


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