Intendantin Veronica Kaup-Hasler im Festspielbezirk. Dieser wird von Marusa Sagadin mit übermannsgroßen Leuchtschriften markiert.
STANDARD: Kein Mensch interessiert sich mehr für "Second Life". Warum beschäftigt sich der Steirische Herbst nun mit "Zweiten Welten"?
Kaup-Hasler: Virtuelle Welten zu bauen war ein Hype. Uns geht es um die Frage, ob die vermeintlich reale Welt durch einen Perspektivenwechsel nicht ganz andere Welten offenlegt. Es geht uns z. B. um soziale zweite Welten. Es gibt eben immer spürbarer das Auseinanderdriften von Arm und Reich - und unterschiedliche Welten, in denen unsere westliche Gesellschaft lebt.
STANDARD: Dieses Problem ist nicht wirklich neu. Und die zweite Bank - als ein Symbol für diese Zweiklassengesellschaft - auch nicht.
Kaup-Hasler: Wir suchen uns Themen, die zwar nicht tagespolitisch aktuell sind, aber trotzdem unsere Gesellschaft beschreiben. Ein Beispiel: Während des Steirischen Herbstes 2008 mit dem Motto Strategien zur Unglücksvermeidung gingen die Lehman Brothers in Konkurs. Die Krise, die damals ausbrach, ist bei weiten noch nicht überwunden. Wir wissen, dass gehandelt werden muss, das Problem ist aber, dass es viele Handlungsoptionen gibt. Uns interessierte damals die Frage: Wie schaffen wir es, ins Handeln zu kommen, ohne vor der Angst, einen Fehler zu begehen, zu erstarren. Das gilt auch heute - denken wir nur an Fukushima. Beim Thema Zweite Welten interessieren uns auch die Abschottung Europas und die Dominanz von Rating-Agenturen: Die Punktebewertung definiert, in welchem Weltbezug ein Land steht. Wie kam es dazu, dass die Politik die gestalterische Kraft an die Finanzwirtschaft abgegeben hat?
STANDARD: Auch Krankheit ist eine zweite Welt?
Kaup-Hasler: Ja, genau. Wir veranstalten dazu das Symposion Der Patient. Die Gesellschaft klammert Krankheit in der Regel aus. Das gelingt uns recht gut, so lange wir jung und gesund sind. Auch in der Werbung geht es immer nur um die Erhaltung der Gesundheit, um die Vorbeugung vor etwas, das uns zutiefst erschreckt.
STANDARD: Das Theater im Bahnhof bringt eine Reminiszenz an Schallplattencover zur Uraufführung, Jörg Albrecht erinnert sich in einem Stück an Terence Hill und Bud Spencer. Wie passt das zur Gesamtkonzeption?
Kaup-Hasler: Es wäre völliger Quatsch, alles unter ein Motto zu subsumieren. Jörg Albrecht, dem Stadtschreiber von Graz, könnte man natürlich ein Thema vorgeben. Aber wenn er etwas anderes in sich trägt, dann hat der Künstler Vorrang vor dem Dramaturgen. Aber es gibt auch ganz andere Beispiele von Eszther Salamon, über Crew bis Lotte van den Berg, die sich explizit mit parallelen Welten auseinandersetzen.
STANDARD: Scheinen die Beiträge im Bereich der bildenden Kunst nicht enger um das Thema zu kreisen?
Kaup-Hasler: Ja, weil die Ausstellungen kuratorisch konzipiert werden. Es gibt die unterschiedlichsten Aspekte: Thomas Edlinger und Christian Höller spüren in Hauntings dem Heimlichen und Unheimlichen in Medien und im Pop nach; Sören Gramel untersucht die Folklore als eigene Welt im Dienst der Politik; Irrealigious beschäftigt sich mit der Parallelwelt Religion in der Kunst; in der Camera Austria werden unter dem Titel Communitas verschiedene Gesellschaftsentwürfe analysiert. Und in der Ausstellung Zweite Welt geht es um utopische bzw. dystopische Weltentwürfe. Das Kollektiv WHW, das die Istanbul Biennale 2009 konzipierte, gestaltet die Schau in zwei unterschiedlichen Welten: im White Cube der Galerie Zimmermann Kratochwill - und darunter im feuchten, verwinkelten Keller. Das ist ein spannender Gegensatz.
STANDARD: Dieses Jahr gibt es kein Festspielzentrum, sondern einen Festivalbezirk: Entwickelt der "Herbst" damit selbst eine zweite Welt?
Kaup-Hasler: Ja. Marusa Sagadin markiert den Festivalbezirk mit übermannsgroßen Leuchtschriften, die eher zum Times Square passen würden. Diese bauen zu den niedrigen Häusern in der Mariahilferstraße ein Spannungsverhältnis auf. Wir spielen also mit dem Größenwahn von Graz, eben der Behauptung, eine Großstadt zu sein, obwohl es weitestgehend nur kleinstädtische Strukturen gibt.
STANDARD: In der Steiermark wurden ja die Subventionen zum Teil massiv gekürzt. Hatte das Auswirkungen auf den Steirischen Herbst?
Kaup-Hasler: Die Basissubvention blieb zum Glück gleich. Aber die Sondersubvention wurde halbiert. Wir konnten die Ausfälle durch gestiegene Sponsoreinnahmen kompensieren. Und wir bekommen für drei Jahre eine EU-Förderung, insgesamt 300.000 Euro, als eines von 18 Festivals. Die 700 Bewerbungen wurden von externen Experten bewertet, der Herbst erhielt 100 von 100 Punkten. Das stärkt mir natürlich den Rücken.
STANDARD: Wie sieht eigentlich die vertragliche Situation mit dem Land Steiermark und der Stadt Graz aus?
Kaup-Hasler: Unser Fünfjahresvertrag ist 2010 ausgelaufen, wir haben derzeit also gar keinen Vertrag. Das ist fatal. Denn ich bin de jure momentan nicht berechtigt, Verträge für 2012 abzuschließen. Es gibt aber Zeichen der Politik, diesen vertragslosen Zustand im Frühjahr beenden zu wollen.
STANDARD: Liegt es mit der Kulturpolitik in der Steiermark nicht im Argen?
Kaup-Hasler: Die Zuständigkeit im Land wie in der Stadt wechselt dauernd. In den letzten sechs Jahren hatte ich mit zehn verschiedenen Politikern zu verhandeln. Die mangelnde Kontinuität ist also das größte Problem. Daraus entstehen viele weitere. Weil es keine Perspektiven, langfristigen Strategien und Planungen gibt. Man müsste aber viel fundamentaler ansetzen, um etwas positiv zu verändern. Nur vier Prozent des Kulturetats des Bundes gelangen in die Steiermark. Das heißt, dass die Belastungen für das Land sehr hoch sind. Wenn der Bund das Geld gerechter verteilen würde, hätten wir hier viel weniger Probleme. (Thomas Trenkler, DER STANDARD - Printausgabe, 23. September 2011)
Veronica Kaup-Hasler (43) ist seit 2006 Intendantin des Steirischen Herbstes. Zuvor war die Dresdnerin Dramaturgin der Wiener Festwochen und Leiterin des Festivals Theaterformen.
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Das frühe Forum Stadtpark war nur ein kurzes Aufflackern, später noch ein kleiner blutiger Bissen Werner Schwab.
Graz ist seither längst, mittlerweile seit Jahrzehnten, wieder in die tiefste Provinz zurück entschlummert.
Und reproduziert nur noch peinlichst platte Oberflächlichkeiten aller Art.
"Entwickelt der "Herbst" damit selbst eine zweite Welt?
Kaup-Hasler: Ja."
Extrem angesagt im Moment: Geht es bei diesem Beitrag ernsthaft um langfristige Perspektiven oder um das pseudokryptische Aneinanderwursteln von gallertartigen Neologismen aus der Postmoderne (inkl. ranzigem Ablaufdatum?). Ein bisschen mehr Substanz, mehr Größenwahn, und weniger "Cluster B": Man weiß nicht, wem man das eher wünschen soll: dem Interviewer oder der Interviewten? Vorletztere wickelt letzteren so ein, dass es nur so pfeift. (Kompliment an beide: Wie isses in der "zweiten Welt?") Ansonsten ist die logische Vorfreude auf den steirischen herbst: nix plus nix ist auch auch nix. Investigativer Journalismus schaut anders aus. Wir danken für das Gespräch.
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