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Küss das Salzbrot! Diagnose: Hoffnung

17.03.2008 | 18:24 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Christoph Schlingensief. „Der König wohnt in mir“ im Kunstraum Innsbruck zeigt Umwege zur Heiligen Johanna.

Prophezeiung. Prüfung. Feuer. Tod. Nur Auferstehung, Erlösung gibt es vorläufig noch keine in Christoph Schlingensiefs erster Rauminszenierung im Vorfeld seiner „Jeanne d'Arc“-Regie für die Deutsche Oper Berlin, die Ende April Premiere feiern soll. Gerade im kleinen, aber wunderbaren „Kunstraum Innsbruck“ ist ein erster Eindruck des Weges zu erhaschen, den der mittlerweile elegant ergrauende deutsche Universalkünstler eingeschlagen hat, um sich Walter Braunfels Heiliger Johanna nähern zu können: Er reiste vergangenen Dezember und Jänner nach Nepal.

Als eine Art Dandy in blütenweißem Anzug, die Lesebrille auf halber Nasenhöhe, die Haare wie üblich zerzaust, ließ er sich in Katmandu und Bhaktapur filmen. Ungewohnt verloren und distanziert, das sind die Eindrücke, die man von diesen Aufnahmen Schlingensiefs in der Tempelanlage, im Hospiz und an den rituellen Verbrennungsstellen am Fluss bekommt. „Ein vorläufiges Festhalten an der Distanznarbe“ hat er schließlich auch auf den Raumplan geschrieben, nach dem seine Assistenten Mitte März die Ausstellung in Innsbruck aufbauten. Er selbst konnte das damals nicht übernehmen, seine Gesundheit ließ es plötzlich nicht zu, verursachte eine zweimalige Verschiebung der Eröffnung und sogar eine kurzfristige Absage der Opernregie. Nur kurz darauf wurde aber bekannt, Schlingensief sei wieder da, wieder dabei, wieder dran an Jeanne d'Arc. Und spürte wohl wieder: „Der König wohnt in mir“, wie die Ausstellung so schön übertitelt ist.


Videofegefeuer in Marmorkaminen

Auf einer roh gezimmerten Raumbühne, die Schlingensief seit seinen animatografischen Anfängen 2005 nicht mehr loszulassen scheint, kann eine Art Stationendrama abgeschritten werden, in für den Meister ungewohnt strenger formaler Abfolge. Denn jede der sechs Kojen wird von demselben gutbürgerlichen Arrangement an der silbern folierten Außenwand begleitet: Je einem detailgetreuen Nachbau des offenen schwarzen Marmorkamins, der in Schlingensiefs Wohnung steht, sowie darüber einem Fototriptychon in einer Leuchtbox.

Der Eintritt in den Kreislauf geschieht dort, wo viele Dramen von heute beginnen, im Warte- und Begrüßungszimmer. Ein wenig nervös lässt man sich nieder auf einem der beiden grauen Sesseln, daneben ein Tischchen mit Blumen, an der Wand ein Urlaubsfoto des Meisters in Plakatgröße. Nepal, ja, der weiße Anzug, hier schon bedeckt mit bunten Handabdrücken. Der Blick schweift nach draußen. Im Kamin gegenüber lodert ein Video, ein alter Nepalese winkt und nickt und lächelt übereifrig. Welcome. Darüber enthüllt sich uns die „Prophezeiung“, der heilige Schlingensief-Dandy wandelt durch Kuhherde, umweht von einem Vogelschwarm. Er dreht sich um zu uns. Haben wir eine Mission?

Das Arztzimmer. Aus dem Kamin lässt der Wiener Aktionismus grüßen. Nein, es ist ein Roma-Junge, der gerade ein im Hinduismus als unrein geltendes Schwein ausweiden muss; in einem Gitter verhängt erkennt man Infusionsschläuche des Hospizes. Durch den Maschendraht erahnt man schon das Flussbett, wo alles einmal im Feuer endet. Wie die Heilige Johanna. „Wir haben eine Heilige verbrannt“, ist der moralische Schlüsselsatz der Oper, der Legende. Bei Schlingensief findet man sich nach einem Parcours durch ein „Operationszimmer“ und „Aufwachzimmer“, nach weiteren Kaminbildern von geschlachteten Ziegen, einem schlafenden Bettelmönch und einer Totenverbrennung am Ende des „Abschiedsweges“ wieder, der ins Herz der Raumbühne führt. Ein Häufchen Asche liegt da am Boden. Egal, ob sie nun „echt“ ist oder schlicht aus dem Ofen der Galeriemitarbeiterin stammt. Es trifft einen. Zumindest nicht allein, denkt man. Zeigt das große Foto darüber doch Schlingensief, wie er statt uns vor der noch rauchenden Bestattungsstelle steht.

Doch wenig Mitgefühl, wenig Empathie ist von hier zu erhoffen, seine „Distanznarbe“ scheint noch zu stark zu schmerzen. Und wie zur Bestätigung bekommen wir unser pathetisches Touristenstarren, unseren so europäisch kultivierten Kolonialblick auf das Exotische serviert, wenn wir zum nächsten Kaminfeuer tapsen: Da drinnen, im Videofegefeuer tänzelt Schlingensief, tänzelt der König in wohl jedem von uns, in weißem Anzug und mit Zeichenstift, spielerisch die richtigen Proportionen der Arbeiter schätzend, die vor ihm kniend in Akkordarbeit Lehm zu Ziegeln formen. Hinter uns wartet das „Befundzimmer“: ein Krankenbett, eine Lichtbank, das Zitat von Beuys' Installation „zeige deine Wunde“, Memento mori und Heilungshoffnung in einem.

Also doch ein Ausweg aus dem scheinbar Ausweglosen – ein Wunder. Bei Jeanne d'Arc, bei Schlingensief. Bleibt noch, vor dem endgültigen Abschied die dargereichte Reliquie zu küssen: Durch eine kreisrunde Aussparung in einer schwarz gefärbten Folie, die eine Holzkiste bedeckt, erkennt man etwas, das aussieht wie eine vergammelte Schaumrolle. Es ist eine in Salzteigbrot eingebackene Filmrolle. Bedeckt wie auch erst erkenntlich gemacht durch das eigene Röntgenbild. Diagnose: Hoffnung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2008)


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