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Dass darin die Chance liegt,
mit einer Ausstellung das Klima einer Region zu spiegeln, beweist die vom
Kuratorenteam Paulo Herkenhoff (Kurator am MOMA in New York), Maaretta
Jaukkuri (Chefkuratorin Museum für zeitgenössische Kunst in Helsinki) und
Rosa Martinez (unter anderem designierte Direktorin der Barcelona
Triennale) organisierte Show ‹Lebt und arbeitet in Wien› in der Kunsthalle
Wien. Zeitgleich findet in der Kunsthalle Krems (bis 26.11.) eine
ebenfalls national ausgerichtete Ausstellung statt, die der Kremser
Kurator Wolfgang Denk mit der kryptisch-poetischen Wortfolge ‹Milch vom
ultrablauen Strom› betitelt.
Wolfgang Denk, seit Jahren auf das
Engste mit der lokalen Szene vertraut, präsentiert Kunst seit den
sechziger Jahren, insgesamt vierzig ÖsterreicherInnen. Das internationale
Team dagegen, szene-unkundige Spezialisten, wählte sechsundzwanzig
Positionen aus einer bemessenen Zahl ausführlicher Besuche in Wiener
Galerien und Ateliers aus. Lassen sich diese unterschiedlichen
Voraussetzungen in den Ausstellungen ablesen? Jein. Einige – wenige –
Namen tauchen in beiden Listen auf (Elke Krystufek, Edgar Honetschläger,
Gelatin, Anna Jermolaewa). Andere dagegen sprechen für die je spezifischen
Ansprüche. So entschied sich das Kuratorenteam gegen einen repräsentativen
Querschnitt und für eine Suche nach dem ‹geistig kulturellen Klima› dieser
Stadt. Dank des politischen Umschwungs stiessen sie auf eine unerwartete
Politisierung. Während ein vierter Kurator, geprägt durch den
Regierungswechsel im Februar, die originelle Konsequenz zog, aus dem
Projekt auszusteigen (um das Konzept dann im Alleingang unter nahezu
identem Titel in Fribourg zu zeigen), integrieren die drei anderen das
Klima in ihr Konzept: Sie präsentieren ein Stadtporträt. Der begleitende
Katalog gleicht im Design einem Stadtführer, der in den Texten
unmissverständlich zur politischen Lage Österreichs Stellung bezieht. Und
auch aus der Künstlerauswahl spricht deutlich ein Bewusstsein der
besonderen Situation. So erhalten hier neben bekannten und weniger
bekannten KünstlerInnen (Lois Renner, Erwin Wurm, Gregor Zivic, Ruth
Kaaserer, Wolfgang Capellari) auch solche Positionen eine Bühne, die in
einer Gruppenausstellung überraschen: die ‹Lomographische Gesellschaft›,
ein Club von Hobbyfotografen, oder das ‹museum in progress›, Österreichs
seit Jahren höchst erfolgreiche Konzeptions- und Organisationsstelle für
Kunst in den Medien. Dazu gehört aber vor allem Julius Deutschbauer, der
mit seinen selbstorganisierten Projekten und Aktionen meistens ausserhalb
institutioneller Zusammenhänge agiert. Gerade seine ‹Bibliothek der
ungelesenen Bücher› zeigt die Unterschiede der beiden Ausstellungen am
deutlichsten, denn während in der ‹Milch vom ultrablauen Strom› die Kunst
ausserhalb gesellschaftspolitischer Zusammenhänge präsentiert wird,
integriert ‹Lebt und arbeitet in Wien› auch nicht-werkorientierte
Positionen. Interessanterweise sprechen allerdings die
Ausstellungsarchitekturen eine den Konzepten gegenteilige Sprache: In
Krems vertragen die Werke ihre unverstellte gegenseitige Nähe, in Wien
sind die einzelnen Positionen in weissen Schachteln voneinander
abgeschirmt – auch dies ein Mosaikstück im Bild des geistig-kulturellen
Klimas Wiens?
Bis 4.3.2001
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