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Samuel Herzog, Kurt Kladler Für die Eröffnungsausstellung des neuen Haus Konstruktiv hat Kuratorin Elisabeth Grossmann den amerikanischen Lichtkünstler James Turrell eingeladen, die Räume im ewz-Unterwerk Selnau mit Arbeiten aus verschiedenen Epochen seines Schaffens zu bespielen. Die beiden Autoren haben sich im dunkelsten Raum dieser Schau getroffen und von diesem ‹Night Light› aus einen Blick auf die Ausstellung geworfen.
Zu dunkel, zu hell, zu blau, zu schön

James Turrell im Haus Konstruktiv

links: James Turrell vor dem Roden Crater, Arizona
rechts: The Hazing, 2001; Foto: Florian Holzherr

Kurt Kladler: Ich weiss, dass man hier nicht sprechen sollte – aber mir wurde eben so unkonkret vor Augen.

Samuel Herzog: Wieso unkonkret? Ich sehe da hinten so etwas Helles, Rundes, Mondiges…

KK: Ein Mond? Das wäre schon etwas Konkretes und würde auch zur Nacht passen, die hier in diesem Raum fast mit Händen nach mir greift.

SH: Der Mond wird doch konkret, sobald ich es mir gestatte, dieses helle Etwas als Mond anzusprechen, anzusehen.

KK: Mag schon sein. Wenn ich aber an die Eröffnung hier denke, so wird diese konkretisierte Mondigkeit wohl kaum als Leitstern des Hauses fungieren können. Da müssten Sie schon von der naturhaften Entsprechung absehen und einen etwas dämmrig schimmernden Kreis als Form erkennen.

SH: Mir kommt es sowieso seltsam vor, dass ein Haus Konstruktiv, dessen Spezialität ja wohl immer noch die konkrete Schweiz ist, mit einer von James Turrell gestalteten Ausstellung seine neuen Räume einweiht.

KK: Das erscheint mir nicht verwunderlich. Auch der neue Zumthor-Bau in Bregenz wurde mit einer Ausstellung von Turrell eröffnet. Die Parallelaktion ist bemerkenswert – gerade weil sich Turrell gar nicht als ‹Eröffnungskünstler› eignet: Dem Narzissmus der Form wurde in Bregenz arg mitgespielt, das Ebenmass der Räume wurde durch die Schachtelarchitektur der Ausstellung gleichsam konterkariert wenn nicht gar parodiert. Die Räume mit den glattpolierten Betonwänden wurden zur Vorhalle, in der sich die Zuschauer drängten.

SH: Mich erstaunt diese Wahl für die Eröffnung aus einem anderen Grund: Die Arbeit von Turrell scheint doch in eine ganz andere Richtung zu gehen als die der Konkreten. Bei den Konkreten geht es doch immer auch darum, das Zusammenspiel optischer Gesetze zu verfolgen und daraus etwas über die eigene Wahrnehmung zu lernen – ein intellektuelles Vergnügen.
Turrell hingegen hat immer diesen Überforderungseffekt – es ist zu dunkel, zu hell, zu blau, zu schön, zu aggressiv manchmal auch. Da begreife ich vor allem, dass ich nicht begreifen kann – und alles, was ich damit tue, ist ein individueller Entscheid.

KK: Dann sind Sie wahrscheinlich in einer anderen Ausstellung als ich. Mir erscheint es durchaus nachvollziehbar, wenn mit dem architektonischen Mittel der Verräumlichung und Lichtregie visuelle Eindrücke erzeugt werden, die von ihrer Form und ihrer visuellen Qualität her sehr unmittelbare Erfahrungen ermöglichen. Allerdings weiss ich nicht, ob diese Auffassung von Architektur mit den Ideen der Gründungsgeneration eines Theo van Doesburg in Einklang zu bringen sind.

SH: Sicher kann man das so sehen – aber ist es das, was uns hier festhält? Ich fühle mich hier manchmal eher wie in einem Kinoraum, jedenfalls habe ich latent immer die Erwartung, dass hier gleich das kinematographische Wunder geschieht, sich Welten auftun. Und aus dieser Erwartung heraus generiere ich eigene ‹Filme›.

KK: Vielleicht sind es die Wunder der Natur, des Lichtes, die hier inszeniert werden. Das physische Material des inneren Films und die Semantik des Erhabenen führen hier wohl zu Missverständnissen. Wenn ich beispielsweise an konkrete Poesie denke, so ist die Verwendung des Lautmaterials, die buchstäbliche Konkretheit der grafischen Gestaltung ein wesentliches Moment. Es ist die Semantik der Form, der den Kosmos der eigenen Assoziationen erschliesst. Trotzdem kann ich dieses Missverständnis des Erhabenen nachvollziehen. Mir erschien der nette Herr mit Taschenlampe, der mich bei der Arbeit ‹Coconino› in Filzpantoffeln schlüpfen liess, damit ich damit ein violett glimmendes Sanktuarium betreten könne, eher wie ein Tempelwächter aus dem alten Ägypten.

SH: Turrell selbst formuliert ja, dass es ihm um das Wahrnehmen der Wahrnehmung gehe. Wenn ich aber hier schon mal aufgefordert werde, meiner Wahrnehmung Raum zu geben, dann ist es doch seltsam, wenn ich gleichzeitig unterschwellig Regeln befolgen muss, die bestimmen, was wahrgenommen werden muss und was man ausblenden soll. Kunst ist ja keine heisse Herdplatte, von der ich, ohne darüber nachzudenken, die Finger nehme – also gehören doch zur Wahrnehmung von Kunst auch all die Gefühle, die sie auslöst. Auch wenn die leichte Beklemmung, die ich hier in diesem dunklen Raum spüre, ja mehr mit meiner psychischen Vorgeschichte als mit dem Kunstwerk zu tun hat.

KK: Wir sollten andere Aspekte des Werkes von Turrell nicht vergessen. Nebst diesen Räumen, in denen das Licht gleichsam pigmentartig verteilt ist, gibt es hier in Zürich ja auch noch Druckgrafiken zu sehen. Die Ausstellung bietet nicht nur einen Erlebniseffekt, sondern durchaus auch eine künstlerische Ausdrucksweise, die formalen Auffassungen der Konkreten entspricht. Diese beiden Dispositive kommen meines Erachtens bei den Grafiken auch im Wegnehmen der Farbe zum Tragen. Es entsteht so ein geistig anregendes Spannungsverhältnis zwischen den intensiven Farben vieler Arbeiten in der gleichzeitigen Ausstellung ‹Schweiz konkret› und den reduziertenen Dunkeltönen in der Druckgrafik von Turrell. Das ist für mich der wirkliche Gewinn dieser Ausstellung.

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Ausgabe: 12 / 2001
Ausstellung: James Turrell (30.09.2001 - 27.01.2002)
Institution: Haus Konstruktiv (Zürich)
Autor/in: Samuel Herzog , Kurt Kladler
Künstler/in: James Turrell

 

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