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22.02.2006 - / Ausstellung
Belvedere: Mehr Sonne ins staubige Mittelmaß
VON ALMUTH SPIEGLER
Oberes Belvedere. Eine überraschende Retrospektive auf den Boeckl-Schüler Carl Unger.

Während in der Beletage des Oberen Belvedere, adelelos, aber trotzdem noch prächtig, Klimt und Schiele elegant ihren international anerkannten kunsthistorischen Exoten-Bonus ausspielen, holen einen zurzeit in den Sonderschauen zu ebener Erde mit Anton Lutz (1894-1992) und Carl Unger (1915-1995) zwei ihrer späteren, vergleichsweise unbekannten Kollegen wieder ins gediegene österreichische Mittelmaß herunter.

Wer zurückblickt, um vorauszuschauen - wie es Albert Paris Gütersloh seinen kriegsversehrten Leidensgenossen nach 1945 auf ihre stilistische Odyssee mitgab -, der trägt die Gefahr des Hinterherhinkens nun einmal latent mit sich. Was sich heute zu einem skeptischen Grundgefühl gegenüber der zeitverzögerten österreichischen Moderne verdichtet, das von den aktuellen Rückblicken auf die österreichische Kunst des 20. Jahrhunderts im Belvedere und in der Sammlung Essl noch bestärkt wird. Irgendwie vermeint man alles schon einmal früher und besser gesehen zu haben. Vielleicht aber führen ja die ab April im Salzburger Museum der Moderne stattfindenden "Affaires Modernes - Austrofranzösische Kunstbeziehungen 1880-1960" zu neuen, reuevollen Einsichten.

So viel jedenfalls zu den Vorurteilen. Denn das selten ausgestellte Werk des Boeckl-Schülers und -Schwiegersohns Carl Unger kann gerade neben seinem nebenan redundant den Postimpressionismus durchdeklinierenden Zeitgenossen Anton Lutz überraschen. Die von Franz Smola nach des Künstlers eigenem System in thematischen Gruppen arrangierte Ausstellung zeigt Unger zwar in Traditionen verhaftet, aber auch als einen fast postmodern Annehmenden und Suchenden.

Seine dicht gehängte Entwicklung vom eindeutigen Schüler seines Lehrers, zum etwas steifen kubistisch und später geometrisch Abstrahierenden, kulminiert dann in fulminanten dynamischen Farbkompositionen wie dem drei Meter langen "Flug I" (1963) und letztendlich in den lockeren, quietschfröhlichen Farb- und Formexplosionen der 70er Jahre.

Natürlich ist hier schon viel verdaut, der Tachismus, das Informel, die Farbfeldmalerei. Doch wer sich von den Titeln nicht auf "Sommer im Donauhafen" zurückwerfen lässt, hebt hier leicht ab in die dichte Atmosphäre eines poppigen Sonnentagtraums. Virtuos bringt Unger in diese Bilder seine zwei sich zuvor zuweilen gegenseitig bremsenden Stärken nebeneinander ein: leuchtende Farbkleckse und grafische Linienführung. So schweben hier lässig angedeutete Umrisse völlig eigenständig über und aus dicken orangen, violetten, gelben Wolken und Pinselstrichen. Der heitere Höhepunkt in der Arbeit Carl Ungers.

In seinem Spätwerk kehrt er dann wieder enger zurück zur österreichischen Liebe zur Landschaft, die er aber, anders als Max Weiler, nur selten - wie in seinen luftigen Kreta-Impressionen - in autonome kraftvolle Farbklänge zu transformieren vermochte.

In der Ausstellung ausgeblendet, im Katalog aber nachzusehen, bleibt ein heute weitgehend vergessener Zweig Ungers, der vor allem während seiner Zeit an der Wiener Akademie Österreichs Kunst im öffentlichen Raum wesentlich prägte: So schuf er neben monumentalen geometrisch-abstrakten Glasfenstern u. a. für die ehem. Zentralsparkasse in der Wipplingerstraße das Muster von Balkonbrüstung und Decke im Großen Festspielhaus in Salzburg.

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