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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
23. November 2007
18:54 MEZ
Bis 14. 12. 
Foto: The Warburg Institute, London
Aby Warburg, "Der Bilderatlas Mnemosyne", letzte übermittelte Version und Basis aller Rekonstruktionen, 1929 in Hamburg fotografiert.

Einst neue Methode: Erinnerungskunst
Die Albertina hat Aby Warburgs 63-teiligen "Bilderatlas Mnemosyne" erneut rekonstruiert - und damit eine Schenkung aus dem Jahr 2000 erst anschaulich gemacht

Wien - Der Schenkungssakt selbst erfolgte schon im Jahr 2000. Damals übergab Gerhard Fischer, Gründer der "Transmedialen Gesellschaft deadalus", der Albertina das vollständige Ensemble der rekonstruierten Tafeln von Aby Warburgs Mnemnosyne-Atlas .

Fischer hatte seine Rekonstruktion von Warburgs Thementafeln (keine der originalen Zusammenstellungen ist im Original erhalten geblieben, die Rekonstruktion erfolgte auf Grundlage von Fotos und Texten), die das Nachleben der Antike in der Bilderwelt späterer Epochen - von der Renaissance über das Barock bis hinein ins frühe 20. Jahrhundert - aufzuzeigen suchen, 1993 erstmals an der Akademie der bildenden Künste in Wien präsentiert.

Später wanderte seine Rekonstruktion des Atlas an die Kunsthalle Hamburg, 1996 zurück in den Wiener Messepalast (so nannte man damals noch das Areal des heutigen Museumsquartiers), anschließend nach Siena, Florenz, Rom, Tel Aviv und Venedig.

Was durchaus erklärt, warum die Tableaus abgebraucht und also nur noch als Idee dahinter zu verschenken waren.

Die Albertina hat Fischers Wissensstand unter Einbeziehung neuerer Forschungsergebnisse - etwa jener Martin Warnkes, der Warburgs Bildatlas 2000 im Berliner Akademie Verlag publiziert hat, erneut rekonstruiert. Was hieß, die 63 Thementafeln Warburgs mit ihren insgesamt 1180 Einzelblättern neu zu reproduzieren, digital zu optimieren und zu Schauzwecken auf Tafeln zu kaschieren. Die sind jetzt im künftigen Studiensaal des Hauses nebst einem ergänzenden Teil zu Warburgs Bildersammlung zur Sternenkunde ausgestellt. Beigefügt ist eine Freihandbibliothek mit Sekundärliteratur zur Warburg-Schule, zu Renaissance, griechischer wie römischer Kunstgeschichte, und weiter bis hin zu den prägenden ästhetischen Theorien Walter Benjamins und Theodor W. Adornos.

Mitarbeiterschulung

Der "Leitfaden" zur Schau kommt, fotokopiert, noch aus dem daedalus-Archiv, der Ausstellungsguide basiert auf Martin Warnkes Publikation von 2000. Die Albertina bezweckt mit der neuerlichen Rekonstruktion der Tafeln Warburgs, der die Ikonologie ebenso als neue Methode der Kunstwissenschaft, wie deren eigenständiges Fachgebiet etabliert hat, ihre Position auch als Forschungsstätte zu stärken. Die Tafeln sollen derzeit ebenso den Mitarbeitern des Hauses Impulse in Richtung eines interdisziplinären Forschens geben, wie sie langfristig als Leihgaben an Akademien und Forschungsinstitute zur Entlehnung freigegeben werden sollen.

Der spezielle Ansatz Warburgs, der 1924 mit dem Arragieren von Bildmaterial aus seiner Forschungs- und Vortragstätigkeit auf Tafeln begann, bestand darin, Objekte in seinen Atlas aufzunehmen, die bis dahin weit im Jenseits des Interesses der einschlägigen Wissenschaft standen: Kunstdrucke fanden gleichberechtigt mit Zeitungsausschnitten, Reklamezetteln, Plakaten, Briefmarken, Fotografien von Skulpturen Friesen, Teppichen, Malereien, Genealogietafeln und Skizzen Aufnahme in das Werk, welches er Mnemnosyne, der Mutter aller Musen und Schutzgöttin des Gedächtnisses und der Erinnerungskunst gewidmet hat.

Warburgs legendenumwobener Mnemosyne-Atlas, der ursprünglich aus einem Fundus von etwa 2000 Abbildungen generiert wurde, blieb zu seinen Lebzeiten unveröffentlicht. Keine einzige der Originaltafeln konnte erhalten werden. Vermutlich gingen sie im Zug der Übersiedlung von Aby Warburgs "Kunstwissenschaftlicher Bibliothek 1933 nach London verloren. (Markus Mittringer, DER STANDARD/Printausgabe, 24./25.11.2007)


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