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Schaukeln im Brachland von Beirut

15.07.2011 | 18:10 | SABINE B.VOGEL (Die Presse)

Kunsthalle Wien: Eine „Green Line“ teilt Beirut in zwei Teile. Eine Ausstellung im „Project Space“ am Karlsplatz wirft einen betont düsteren Blick auf die libanesische Hauptstadt.

Beirut ist bunt, voller Lebens- und Partylust, reich und schön. Das ehemalige Zentrum in der Nähe des Strands wird derzeit in ein Luxusquartier verwandelt, wenige Schritte entfernt haben sich hochpreisige lokale Designshops angesiedelt, das nahe gelegene Viertel Mar Mikhael entwickelt sich zum Soho Beiruts, und überhaupt prägt ein bombastischer Bauboom das Bild der Stadt.

Die Ausstellung „Beirut“ im „Project Space“ am Karlsplatz zeigt uns ein anderes Bild. Im Rahmen ihrer „Städtereihe“ präsentiert die Kunsthalle Wien eine Stadt, die gezeichnet ist von Krieg und Konflikt: Im abgedunkelten Raum erzählen die Werke von 18 Künstlern vor allem von dem Bürgerkrieg, der von 1975 bis 1990 dauerte, und von dem israelischen Bombardement 2006, das den Süden der libanesischen Hauptstadt zerstörte.

Sicherlich, Beirut ist kein arabisches Monte Carlo, obwohl das wohl das Ziel der Stadtentwickler ist. Zu präsent ist die jüngste Geschichte in all den noch immer vorhandenen zerschossenen Häusern, der Armut im Süden und den schwelenden Konflikten.

 

Maroniten, Sunniten, Schiiten

Geschätzte zwei Millionen Menschen leben in Beirut. Genaue Zahlen gibt es nicht – und soll es wohl auch nicht geben. Eine Volkszählung könnte den fragilen Frieden im Libanon bedrohen. Denn in dem kleinen Staat am östlichen Mittelmeer wird die innenpolitische Macht nach Religionszugehörigkeit verteilt: Das Staatsoberhaupt ist ein Maronit, der Regierungschef ein Sunnit, der Parlamentspräsident ein Schiit. Aber stellen heute die Maroniten noch die Mehrheit der Bevölkerung, oder fehlt dieser Aufteilung die statistische Legitimation? Dies ist eines der Themen, die man als Besucher in Beirut in kürzester Zeit zu hören bekommt. In kaum einem anderen Staat spielt die Religionszugehörigkeit eine derart wichtige Rolle. Sogar Künstler nennen schon in kurzen Gesprächen stolz ihre Religion. 18 Religionen sind staatlich anerkannt, die Zugehörigkeit wirkt sich vor allem in den Karrierechancen aus. Auch der Bürgerkrieg war vom Religionskonflikt geprägt, begann mit offenen Kämpfen zwischen der maronitischen Phalange-Miliz und der PLO, später zwischen der sunnitischen und schiitischen Miliz und irgendwann anscheinend zwischen nahezu allen Gruppierungen. So genau kennt sich kaum jemand aus mit der Entwicklung des Bürgerkrieges. Nicht einmal die genaue Zahl der Toten und Vermissten ist bekannt.

Gut 20 Jahre später scheint „Vergessen“ das Motto der Obrigkeiten zu sein. Dagegen wehren sich viele, allen voran die libanesischen Künstlerinnen und Künstler, die darauf in ihren Werken reagieren. Und auch die Ausstellung in der Kunsthalle ist davon bestimmt. So sehen wir eine Papierarbeit von Alfred Tarazi, der ein Mahnmal für den Krieg plant, mit dem er eine öffentliche Diskussion über den Bürgerkrieg initiieren möchte.

Mitten im Raum hängen Mona Hatoums „Balançoires“: zwei Schaukeln aus Glas, auf deren Sitzfläche der Stadtplan von Westbeirut, daneben von Ostbeirut abgebildet ist. Der Bürgerkrieg fand hauptsächlich entlang dieser Grenze statt, die sich in den 15 Jahren zu einer „Green Line“ entwickelte: in ein lebensgefährliches Brachland, in dem sich Scharfschützen in den verlassenen und zerstörten Häusern verschanzten und das noch heute von Pflanzen überwuchert ist. Dort plant Tarazi sein Mahnmal. Und Mona Hatoum findet mit ihrer großartigen Skulptur ein eindrückliches Bild für diese Gegend, wenn sie einerseits mit der Schaukel öffentlichen und privaten Raum vermengt und andererseits den Konflikt zwischen beiden Stadthälften in der Zerbrechlichkeit des Materials manifestiert: Zerspringen würden die beiden Schaukeln, wenn sie aufeinanderprallten.

 

Es fehlen die Reize der Stadt

Sonst aber ist die Schau dominiert von Fotografien und Videos, in denen Passanten und Freunde von ihren Kriegserlebnissen berichten, der Kamerablick auf zerstörte Häuser gerichtet oder historisches Bildmaterial zu verklärten Ansichten montiert ist. Zwar kommt die lange Kulturgeschichte des Libanon in einer 1200 v.Chr. beginnenden und in der Zukunft endenden Zeittafel in den Blick, einmal blitzt auch das aktuelle, „reiche“ Beirut in einer einzelnen Fotografie auf. Aber die dramatische Beleuchtung im dunklen Ausstellungsraum, der betuliche Sound der Videos und die erschreckende Redundanz der auf den Krieg reduzierten Konfliktthematik verhindern, dass die Zwischentöne der Werke zur Geltung kommen. Und dass die Stadt in ihrer besonderen Dynamik und ihren eigenwilligen Reizen wahrgenommen werden kann. Die Ausstellung hat den Anspruch, ein Porträt der Stadt zu bieten – warum musste das so einseitig düster angelegt werden?

Bis 24.August, tägl. 13–24 Uhr


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