04.05.2003 19:54
Bauchladen mit Wien-Bildern
Christoph Steinbreners Wanderausstellung "Operation Figurini" auf drei
Wiener Märkten
Wien - Robin Hood von Wien, dieses Attribut musste einmal jemand
bekommen. Johann "Schani" Breitwieser bekam es im Vorkriegswien. Der "König von
Meidling" bestahl Reiche und gab von seiner Beute den Armen. Die Polizei
erschoss ihn, zum Begräbnis kamen 40.000 Menschen.
Die Geschichte dieses
vergessenen "Sozialrebells" hebt Wissenschafter Wolfgang Maderthaner in einem
Text wieder ins Gedächtnis: Er trägt damit zu einem winzig kleinen Teil der
Operation Figurini bei, einem mit 800 Menschen veranstalteten Monsterprojekt des
Künstlers Christoph Steinbrener.
Ab morgen, Dienstag (am heutigen Montag
ist Vernissage ab 19 Uhr am Karmelitermarkt) werden acht Marktstandmodule für
jeweils zwei Wochen am Karmelitermarkt, dem Meidlinger sowie am
Victor-Adler-Markt stehen.
Dort fungieren jeden Markttag (jeweils
andere) 16 Personen als Standler. Die Leute lud Steinbrener ein: Sie stammen aus
unterschiedlichsten Vereinen, NGOs - wie etwa einem Obdachlosenheim, von Vier
Pfoten, Kinderfreunden, der Gesellschaft der Freunde der bildenden Künste usw.
Sie verkaufen an den Standeln von 56 Künstlern in unterschiedlichen
Auflagen angefertigte Multiples zum Einheitspreis von 25 Euro; der Erlös geht zu
100 Prozent an die Künstler. Jochen Traar etwa hat ein Stundenglas produziert,
welches als Weinglas und Aschenbecher dient, die Gruppe H.A.P.P.Y. steuert
plüschige Klonbabys bei.
Das Erworbene soll dann in die extra zur
Ausstellung produzierte Zeitung eingewickelt werden, für die 56 Wissenschafter
je eine Manuskriptseite ablieferten. Acht Überthemen gibt es, die eine
Gesellschaft repräsentieren sollten: Natur, Kultur, Herrschaft, Gerechtigkeit,
Religion, Sprache, Wirtschaft, Wissenschaft.
Jeweils zwei Begriffe wurden
kombiniert, wobei sich acht mal sieben Texte ergaben. Schani Breitwiesers
Geschichte gehört dabei dann zu "Herrschaft . . . und Gerechtigkeit". Was aber
ist ein Markt ohne Plastiksackerln/Tragtaschen? Das umhüllte Multiple wandert in
eines der eine Million (!) mit literarischen Zitaten versehenen Sackerln, die
Steinbrener drucken ließ. Sie sollen im Stadtraum auftauchen und, wie es der
Künstler definiert, seine soziale Skulptur vergrößern und
erweitern.
Enzyklopädisch
Zu kompliziert? Steinbrener, der
bereits vor zwei Jahren mit Unternehmen Capricorn eine künstlerisch-historische
Untersuchung des Karmeliterviertels vorlegte, geht dabei vom Enzyklopädischen
aus. "Durch die breite Streuung der 800 Teilnehmer verfügen wir über
Multiplikatoren und Vermittler. Ein von Erwin Wagenhofer und mir angefertigter
Film soll zudem Fragen klären, wie es etwa hierzulande zu solch großer
Kunstfeindlichkeit kommen kann."
Der Schöpfer dieses "gigantischen
Stadtporträts" betrachtet seine ausufernde Operation als Gegenstrategie zu
globalem Lifestyle, er will im besten Sinne kein "internationaler Künstler"
sein. Als extremen Balanceakt bezeichnet er das Jonglieren zwischen Global- und
Heimatkünstler. Die Märkte, die als solche "am Krepieren sind" (Steinbrener),
stehen da, überspitzt formuliert, für den Ausverkauf von Kultur und "Identität".
Dinge, die vergessen werden wie etwa der Figurini-Mann, Namensgeber des ganzen
Projektes. Dieser Mann, meist Italiener, verkaufte an öffentlichen Plätzen via
Bauchladen einst Gipsnippes. Für kurze Zeit ist er wieder da. (DER STANDARD,
Printausgabe vom 5.5.2003)