Die Augen entschlacken
(cai) "Ich liebe das 20. Jahrhundert noch immer." Dieses freimütige
Geständnis könnte die plausible Erklärung dafür sein, dass irgend so ein
beharrlicher "Gegenwartsignorant" noch alleweil jeden Euro in Schilling
umrechnet, stur "dass" mit einem scharfen S schreibt und auf seinem PC
noch unermüdlich "Word 6" läuft. "I still love the 20th century" hat
trotzdem vielmehr James Lee Byars bekannt, als er Ende der siebziger Jahre
anscheinend noch immer nicht genug gehabt hat von "seinem" Centennium. Und
eine diskrete Collage so genannt hat. Byars’ Liebeserklärung hat sich nun
Galerist Georg Kargl als Titel für eine nostalgische Gruppenschau
ausgeborgt. Überall gepflegte "Sehtests" und das Pathos der demonstrativen
Einfachheit. Darunter Klassiker wie ein Quadrat von Ad Reinhardt mit dem
Farbwert null und kolossalem Kohldampf. Schwarz ist ja die lichthungrigste
aller Farben. Unerbittlich saugstark.
Ein Schmankerl: ein Strich (der Archetyp der Mal-Geste) von Gerhard
Richter, als dieser Fotorealist, der gemalt hat wie ein kurzsichtiger
Fotoapparat, seine Metamorphose zum abstrakten Maler durchgemacht hat.
Eine augenfreundliche Ausstellung voller Disziplin. Romantisch abstinent:
das raffiniert monotone, mit Sand ausgelegte Entschleunigungskammerl von
Herwig Turk und Günter Stöger. Der Meditationsfilm dort drin (eine
Salzwüste zieht am leicht desorientierten Betrachter vorbei, denn manchmal
bewegt sich der Himmel mit dem Boden gar nicht mit) reinigt die Netzhaut
von allen bunten, hyperaktiven Schlacken. Ein Askese-Simulator? Oder soll
man wegen der überwältigend leeren Ödnis Agoraphobie kriegen?
Galerie Kargl
(Schleifmühlgasse 5)
"I still love the 20th century"
Bis 6. Mai
Di. bis Fr. 11 bis 19 Uhr
Do. 11 bis 20 Uhr
Sa. 11 bis 15 Uhr
Augenfreundlich.
*
Kleine Blumenschlampen
(cai) Eine Idylle wie im Teletubby-Land: megakindliche, ultrabunte
Mammutblumen, ein Löwenzahn ist gar mannshoch, will heißen: kumpelhaft
groß. Freilich: Die aufdringlich offenen Blüten mit ihren kokett
"winkenden" Staubgefäßen haben schon etwas Unanständiges.
Animierblumen eben. So manche Riesenblüte imponiert an der Wand wie ein
Hirschgeweih. Die Jagd-Trophäe eines Sonntags-Floristen, der eine mutierte
Wiesenblume erlegt, sprich gepflückt hat. Sind diese Skulpturen von Thomas
Stimm nun Floral-Kitsch oder Blüh-Pop? Unverfroren unbeschwert. Nix für
anspruchsvollere Sehnerven.
Galerie König
(Schleifmühlgasse 1a)
Thomas Stimm
Bis 6. Mai
Di. bis Fr. 11 bis 19 Uhr
Sa. 11 bis 15 Uhr
Für Genügsame.
*
Gesamtwohnwerk
(cai) Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich zwar kein deutscher Architekt
vor die obdachlos gebombte Zivilbevölkerung hingestellt und gerufen:
"Wollt ihr das totale Wohnen?", ein Text-Video mit einer amerikanischen
Werbeparole aus Kriegstagen ("Nach dem totalen Krieg kann das totale
Wohnen kommen") berührt einen dennoch unangenehm. Marko Lulics
Wohnkunstwerk "Lulic House No. 1 (Weekend Utopia)" ist eben inhaltlich
komplex, aber optisch wohltuend "bescheiden". Ein Hausteil steht als
lebensgroße 3D-Konstruktionszeichnung leibhaftig in der Galerie Senn. Was
Lulic bereits als Indoor-Haus in den Kunstraum Bregenz gestellt hat und
was sich aus Albert Freys kompakt schlichtem Eigenheim in Palm Springs von
1940 speist, wird irgendwann (als Wochenend-Utopie mit Meerblick) nach
draußen an die kroatische Adriaküste verpflanzt werden.
Galerie Senn
(Schleifmühlgasse 1)
Marko Lulic
Bis 5. Mai
Di. bis Fr. 11 bis 18 Uhr
Sa. 11 bis 15 Uhr
Wohlig durchdacht.
Mittwoch, 26. April
2006