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Kunsthalle Krems: Entzückend traurige Bilder der Kindheit

03.03.2011 | 18:33 | von Almuth Spiegler (Die Presse)

„Von Engeln und Bengeln“ versammelt Kinderporträts aus vier Jahrhunderten: Sie spiegeln den sentimentalen Blick der Erwachsenen und werden so zu Dokumenten der Sehnsucht und des Verlusts.

Wie durch einen Schleier schimmert hinter dem doppelten Seidenpapier die Kindheit hervor: Zwar kann ich mich nicht einmal dunkel mehr erinnern, als ich mit vier, fünf Jahren den Großvater in das Atelier des Salonmalers Mooq in der Naglergasse begleitet haben muss. Aber das Bild des traurig porträtsitzenden Kindes habe ich heute, 30Jahre später, deutlicher vor mir denn je. Es ist ein Merkmal dieses besonders entzückenden Teils der Kulturgeschichte, der ab kommendem Wochenende in der Kunsthalle Krems sichtbar wird: Kinderporträts aus vier Jahrhunderten. Und (fast) immer blicken diese „Engel und Bengel“, so lautet der Ausstellungstitel, traurig. Spiegeln sie doch immer auch den sentimentalen Blick des Erwachsenen wider und werden dadurch zu Dokumenten der Sehnsucht und des Verlustes.

 

Unheimliche Mädchen ohne Gesichter

Diese Erkenntnis des eigenen Schicksals, diese alten Augen sind es wohl auch, die Bilder von Kindern immer so gespenstisch wirken lassen. Eine Atmosphäre, die Hausherr und Kurator Hans-Peter Wipplinger im ersten abgedunkelten Saal der Schau effektvoll verdichtet: Während von den Wänden adelige Sprösslinge aus dem 16. und 17.Jahrhundert starren, fassen sich in der Mitte drei Erstkommunionsmädchen an klammen Händchen zum unheimlichen Ringelreih'. Schwarzhaarig rundum, ohne Gesichter, wirken die vom deutschen Künstler Simon Schubert 2008 ersonnenen Drillinge, als wären sie direkt Stanley Kubricks Horrorfilm „Shining“ entsprungen. Die Identitätslosigkeit der repräsentativen Kinderposen in der historischen Malerei rundum wird hier ins Grotesk-Schauderhafte gesteigert.

 

Knallrot wie ein Feuermal

Ähnlich körperlich spürbar wird auch der kindliche Schauder vor der Strumpfhose: Scheint Prinz Friedrich von Baden-Durlach 1599 seine bronzefarbenen Seidenstrümpfe, seine Spitzenbommeln und Krägen noch mit stolzer Todesverachtung zu tragen, wirkt die knallrote Wollstrumpfhose auf Karin Franks geschnitztem Selbstporträt „Ich als Kind“ wie ein brennendes Feuermal. Wie so oft in der Kremser Kunsthalle ist dieser intime erste Saal im Zwischengeschoß der dichteste, der spannungsreichste: Hier geht Wipplingers Konzept der dialogischen Hängung historischer, zeitgenössischer Kunst und kulturhistorischer Objekte wie Kinderrüstungen am eindrucksvollsten auf.

Wobei immer spürbar bleibt, dass nicht nur der Ursprung, sondern auch der besondere Reiz dieser Ausstellung den Alten Meistern zu verdanken ist, genauer gesagt den Meistern aus der Sammlung von Kinderporträts aus dem 16. und 17.Jahrhundert von Yannick Vu und Ben Jakober, die auf Mallorca ein eigenes Museum betreiben. Von ihnen stammen die meisten Leihgaben, ein Viertel der 140Exponate. Auf ihnen ist zum Teil nur an den Attributen erkennbar, dass es sich bei den Dargestellten um Kinder handelt – denn bis ins 18.Jahrhundert hinein hatte die Nachkommenschaft rein repräsentative, dynastische Funktionen. Ihre Bilder wurden zur Vermittlung von gewinnbringenden Hochzeiten an die Höfe geschickt.

Erst im England des 18.Jahrhunderts begann das Bild der Kindheit sich zu dem zu wandeln, was wir auch heute als kindliche „Natur“ empfinden: Die Kompositionen werden mit Natur hinterlegt, verspielter, heller, lieblicher. Waldmüllers „Mädchen mit Rose“, von Schadows Porträt seines Stiefbruders, Courbets frühes Porträt seiner Schwester Julliette würden heute noch bürgerliche Auftraggeber zu spitzen Schreien des Entzückens verleiten.

 

Das böse Kind von Yoshitomo Nara

Was die skeptischen Kindheitsaufarbeitungen zeitgenössischer Künstler und Künstlerinnen wohl weniger vermögen würden: Ursula Hübners beklemmende Collagen oder die „Kids“ von Yoshitomo Nara, der die bildliche Erfindung des „bösen“ Kindes gepachtet zu haben scheint. Was aber gerade die Kinder unserer Zeit mit denen aus dem 16., 17.Jahrhundert verbindet, scheint der sie umgebende Aberglaube zu sein: Erkennt man am „Brustbild eines nackten Kindes“ etwa eine Korallenkette, die den bösen Blick abwenden sollte, tragen Babys heute Bernsteinketten, um Zahnungsschmerzen zu erleichtern. Nagten Kleinkinder damals an Tierpfoten, nagen sie heute an Veilchenwurzeln. Legte man ihnen damals Fraisenketten um die Hüften, an denen verschiedene schützende Symbole hingen, sammelt man heute für den Nachwuchs wieder Anhänger für Bettelarmbänder.

Und wer ganz schockiert auf die „Fatschenkinder“ blickt, etwa auf das wie eine Mumie in Spitzenbänder streng eingewickelte „Porträt einer Neugeborenen“ aus dem 17.Jahrhundert – der sei vor einem schnellen Urteil gewarnt: Heute bindet man schreiende Babys zu ähnlichen Bündeln, man „puckt“ sie. Immerhin hüllt man sie nicht mehr in die Roben ihrer zukünftigen Profession, wie man es 1610 beim Porträt der Infanten Don Carlos und Don Fernando getan hat – schon gar nicht in ein Mönchsgewand.

Ab 6.März bis 3.Juli 2011 in der Kunsthalle Krems, täglich 10 bis 18Uhr.


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