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Kunstberichte
Kunsthalle: Subversive Straßenkunst – "Street Art and Studio. Von Basquiat bis Séripop"

Bildsprache der Metropolen

Charlie Ahearns 
"Scratched Slides” (1980/81) als Sinnbild der 1980er Generation. 
Foto: Charlie Ahearn

Charlie Ahearns "Scratched Slides” (1980/81) als Sinnbild der 1980er Generation. Foto: Charlie Ahearn

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Aufzählung Viele Künstler ab 1968 tauschten ihr Atelier gegen die Arbeit auf der Straße. Graffiti und Besetzung mit Skulpturen oder Performances wurden schnell die Blutauffrischer des Kunstmarktes. Massentauglich, schnelllebig und verständlich zeigten sie Ungehorsam gegen Überwachung und Kommerz TV.

Parallel zur Keith-Haring-Ausstellung (bis 19. September inder Halle 2) präsentiert die Kunsthalle mit "Street and Studio. Von Basquiat bis Séripop" eine Fortsetzung der Szene bis heute.

Teamworks der Graffitikünstler sind so legendär wie die halböffentlichen Stores oder die Factory Andy Warhols. 1982 arbeitete Haring mit dem "King of the City", Jean-Michel Basquiat (1960 bis 1988), zusammen. Dass diese Werke noch nie zusehen waren, überrascht. Historisch ergänzen andere Sprayer oder Schablonenkünstler wie Blek le Rat, Ramm:ell:zee oder Futura. Ihre Malerei und Videokunst griff zuerst in New York City und dann auch in Europa in den Außenraum ein, elektrisierend waren die Nähe zur populären Musik und die anarchistische Note. Bis heute sind die Eingriffe eines Leopold Kessler, der mit Lochzange im Straßenarbeitergewand Verkehrszeichen in Wien perforiert hat, oder hier filmisch verbotene Servicearbeiten in New York City verrichtet, Attacken gegen die Dominanz des Kapitalismus.

Kein rein männliches Kunst-Phänomen

Basquiat, der es mit Hilfe seines Mentors Warhol bis ins MoMa und auf die documenta 7 schaffte, wollte ganz New York rot oder schwarz anmalen – gegen diese radikale Utopie wirken die Wandbilder, die er allein oder auch mit Haring oder Francesco Clemente anfertigte, geradezu harmlos im Ausstellungsraum. Wer meint, der Straßenkünstler sei wie der klassische Flaneur ein rein männliches Phänomen der Kunst, irrt: 1983/84 arbeitete Jenny Holzer mit der Sprayerin Lady Pink an radikalen Aussagen, Dokumentationen von Dara Birnbaum und Jane Dickinson, die Malerin Rita Ackermann sowie die um anonyme Mitwirkende erweiterte Graffitiarbeit Sophie Calles holten auch Künstlerinnen in die Gefahrenzone.

Radikale Ansagen an den Wänden der Lower East-Side stachelten selbst Minimalisten wie Sol LeWitt (1928 bis 2007) an mit subtilen Fotofriesen zu dokumentieren, was es an "Tags" der Straße gab. 1988 ist Ari Marcopoulos der sensible Dokumentationsfotograf, 1990 folgt sein Film "Larry Wright". Jazz, Reggae und Hip-Hop bilden die musikalischen Umrahmungen der Szene – so mit miz Justice (Maria Legat) oder Séripop. Schon auf der Gemeinschaftsarbeit Warhol-Basquiat ist ein schwarzer Musiker zu sehen, bei Basquiat-Clemente ist das Porträt Charlie Parkers eingeschrieben in eine durch Schwarze bereicherte amerikanische Kulturgeschichte.

Nicht nur politische "Binsenweisheiten" verweisen bei Holzer und Haring etwa auf politisches Tagesgeschehen zwischen Nicaragua und Kurt Waldheim, auch inhaltlich beschämende Alltagssituationen werden thematisiert, um sozial zu irritieren: So speit die "Pukerin" vor das Haus und im Eingangsbereich steht ein Mensch, halb von einem Müllsack verborgen. Dazu passt auch die rebellische Klebearbeit eines Christian Eisenberger oder schockierende Recherchen von Kader Attia zum Schönheitswahn. Die Stadt als Leinwand hat unsere Museen längst erobert.

Aufzählung Ausstellung

Street and Studio. Von Basquiat bis Seripop
Cathérine Hug, Thomas Mießgang (Kuratoren)
Werke von Jean-Michael Basquiat, Rita Ackermann, Brad Downey, Mark Jenkins, Seripop u.a.
Kunsthalle Wien
bis 10. Oktober

Printausgabe vom Mittwoch, 04. August 2010
Online seit: Dienstag, 03. August 2010 15:39:00

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