Motto: Révélation

Von Herwig Höller.


Während sich die EU-Spitzen in Nizza trafen, war zahlreichen internationalen ExpertInnen auf dem weiten Feld elektronischer Kunst Paris definitiv eine Messe wert. ISEA 2000 - nach Eigendefinition "das Ereignis digitaler Kunst" - ging zwischen 7. und 10.12. ebendort im forum des images über die Bühne bzw. flimmerte an Kunstorten der französischen Metropole über zahllose Bildschirme.

Offenbarung und Verweltlichung

Plakat zur Messe
Plakat zur Messe

Thematisch setzten die französischen Veranstalter, nach "Revolution" in Manchester/Liverpool 1998, dieses Jahr auf "Révélation" - "Entdeckung", aber auch "Offenbarung". In einer Welt, in der sich alte Orientierungen auflösen würden, gelte es - so ISEA 2000 Direktor Nils Aziosmanoff - auch jenseits des Wahrnehmbaren den tieferen Sinn der aktuellen Entwicklungen zu verstehen.

Die religiös anmutende Argumentation und Themenwahl, erscheint vor dem Hintergrund aktueller französischer Diskussionen allerdings keinesfalls zufällig. Kürzlich lieferten sich etwa zwei der wichtigsten französischen Netztheoretiker, der Philosoph Pierre Lévy und der Soziologe Philippe Breton, in französischen Medien einen einschlägigen Disput. Während Lévy in Bezug auf Internet von einer notwendigen "Bewusstseinserweiterung" spricht, kritisiert Breton diesen "Kult" und verlangt die Laisierung des Internet.

Die üblichen Utopien

Der diskursive Hauptteil der ISEA setzte sich aus zahllosen Vorträgen und Podiumsdiskussionen zusammen, insgesamt diskutierten mehr als 300 TeilnehmerInnen vielfältige Fragen eines stark erweiterten elektronischen Kunstbegriffes. Grosso modo bestätigte sich ein Vorurteil, das bereits im Vorfeld der ISEA in Le Monde artikuliert worden war: Naive Freude an Technik - mitunter gewürzt mit techno-utopistischen Momenten - dominierte, kritische Analysen aktueller Entwicklungen blieben im Hintertreffen.

In einem Panel über Programmierung und Stadtplanung, an dem u.a. auch der bekannte kalifornische Architekt und Künstler Marcos Novak teilnahm, verdeutlichte z.B. Flavia Sparacino vom MIT insbesondere diesen utopistischen Charakter. Sparacino sprach u.a. über den weltverbessernden Charakter von Hightech-Gadgets - wie z.B. von einem in ihrer Kleidung und Brille integrierten Webbrowser. Kritische Anmerkungen kamen hingegen eher aus dem Publikum, die im angesprochenen Panel die behauptete emanzipatorische Wirkung von vermehrter "Interaktion" in Zweifel zogen.

Französische Note

Auch war - zumindest für ausländische Gäste - die für internationale Veranstaltungen untypische Dominanz der französische Sprache und damit verbunden, dass häufig über französische Spezifika debattiert wurde. Zudem kam es zu einer Fülle jener typisch französischen "table ronde"-Diskussionen, die den Anschein erwecken, rhetorisches Wettrüsten stünde im Vordergrund, und in denen Fragen aus dem Publikum anscheinend nur von Freunden der Vortragenden gestellt werden.

Digitales Panorama

Andererseits ergänzten Ausstellung digitaler Kunstwerke an mehr als 20 Kunstorten der französischen Metropole das diskursive Programm und lieferten derart eine Fülle an wertvollem Anschauungsmaterial. Etwa "Au-delà de l'écran" ("Jenseits des Bildschirms") in der angesehenen École supérieur des beaux-arts (ENSBA). Ungeachtete des etwas unglücklichen Titels - es gab keinerlei "jenseits des Bildschirms" - waren zahlreiche eindrucksvolle Installationen zu sehen, etwa "Configuring the cave", eine auf den Cave erweiterte Arbeit von Jeffrey Shaw oder die Videoinstallationen "Ritual 1" von Peter Bogers, der auf 12 im Kreis angeordneten Monitoren quasi einen Reigen filmischer Gewalt zeigte.

Zusätzlich bot sich für die Pariser Medienkunstszene die Gelegenheit zur Selbstpräsentation vor einem internationalen Publikum, in zahlreichen kleinere Präsentationen im ISEA Off-Bereich waren vielfältige künstlerische Positionen zu sehen. ENSBA-Studierende präsentierten an ihrer Hochschule multimediale Arbeiten, die lose Netzkünstlervereinigung Téléferique führte drei Abende lang ihr "Demo" vor, die Pariser Netzkünstlerin Olga Kisseleva bot mit "Soirée déplacée" ein nach Russland "disloziertes Abendessen".

Radio …sterreich 1