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"I'm too sad to tell you": "Trauer" beherrscht das Atelier Augarten

Der Boden unter den Füßen wird weggezogen, Worte versiegen, Bewegung erstarrt - österlich und dem Weltgeschehen gemäß beschäftigt sich die fünfte Ausstellung der Österreichischen Galerie Belvedere im neu adaptierten Atelier Augarten mit der zeitgenössischen künstlerischen Darstellung der "Trauer" (16. 4. bis 27. 7.).

Wien (APA) - Die Schau zeigt acht verschiedene Herangehensweisen an eine Auseinandersetzung mit der Trauer jenseits der "Pathosformeln" (so Kurator Thomas Trummer bei der heutigen Pressepräsentation) der Kunst vor der Moderne - vom Found-Footage-Video rund um die Ermordung J. F. Kennedys bis zum japanischen Comic.

Für Trummer ist die Ausstellung selbst "kein Grund, traurig zu sein. Dass das weltpolitische Umfeld derzeit dementsprechend ist, war nicht eingeplant". Ein Mann hackt um sich herum einen Kreis in die Eisschicht des Neusiedlersees - bis die Scholle, auf der er steht und damit der symbolische Boden unter seinen Füßen nachgibt. Gleichzeitig wird das Video "räumliche maßnahme (1)" von Nicole Six und Paul Petritsch zum Blackscreen, nur an den Geräuschen wird der freie Fall ins kalte Wasser nachvollziehbar. Eindringlich das tonlose Weinen des 1975 auf einer Atlantik-Überfahrt verschollenen niederländischen Künstlers Bas Jan Ader auf einem Video, das sich Emotionen jenseits der Worte nähert und den dementsprechenden Titel trägt: "I'm too sad to tell you".

Der Schau zentral ist das Werk des kubanischen Künstlers Felix Gonzalez-Torres, der durch kontextuale Konnotationen alltägliche Ansichten zu eindringlichen Hommagen transformiert. Ein sinnlich eingängiges, täuschend leicht dechiffrierbares Blumenbild etwa wird durch den Bildhinweis zum tristen memento mori: Zu sehen sind bunte Pflanzen am Grab Gertrude Steins und ihrer Geliebten Alice B. Toklas, ein Gedenkmoment des homosexuellen Künstlers an seinen in den 90er Jahren an AIDS verstorbenen Partner, dessen Sterbensweg Gonzalez-Torres "ohne Pomp, mit leisen Stilmitteln" (Trummer) dokumentierte.

Tacita Dean erklärt vorgefundene Postkartenmotive zu Schlusseinstellungen fiktiver Filme und versieht diese mit Regieanweisungen, die zwischen Ironie und Trauer schwanken. Der Titel der Serie, "The Russian Ending", bezieht sich auf eine ursprünglich in Dänemark übliche Filmpraxis: Lange vor Hollywood wurden Filme mit zwei alternativen Enden - eines für den US-, eines für den russischen Markt - versehen. Das tragische Ende war für das russische Publikum vorgesehen.

William Kentridge ist u. a. mit seinem auf der "documenta 11" gezeigten Animationsfilm "Zeno Writing" nach einer Novelle des italienischen Autors Italo Svevo vertreten, in dem der Protagonist durch zu viel Selbsterkenntnis vom Handeln abgehalten wird, Yoshitomo Naras gezeichnete Figuren sind zwar bunt, aber keineswegs lustig: "I feel like I'm in the coffin, but I'm still alive", denkt sich etwa ein kleines Mädchen schneewittchenhaft.

Und zu einem tieftraurigen Zeitsprung lädt der in Belgrad lebende Zoran Naskovski bei "Death in Dallas" ein: Die Ermordung des US-Präsidenten und Hoffnungsträgers John F. Kennedy wird mit der quälenden Klage eines alten serbischen Musikers, der um den verstorbenen Präsidenten trauert, untermalt. Und in einem benachbarten Schaukasten liegt eine Zeitung, auf der aktuelles Zeitgeschehen und Geschichte verbunden werden: "Lebwohl, serbischer Kennedy" titelte ein serbisches Blatt nach der Ermordung des Ministerpräsidenten Zoran Djindjic im März dieses Jahres. Zur Ausstellung ist ein Katalogbuch mit Texten von Sigmund Freud, Roland Barthes und Jacques Derrida erhältlich.

"Trauer", im Atelier Augarten, 16. 4. bis 27. 7., Di bis So, 10 bis 18 Uhr. Buch: "Trauer", 156 S, Passagen Verlag, ISBN 3-85165-606-7.
2003-04-15 13:36:08