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Gastarbeiter in Sachen Kunst

Für die Schalterhalle der Tiroler Sparkasse hat der New Yorker Lawrence Weiner eine "Skulptur" geschaffen. Ihre Botschaft ist eine zum Nachdenken.

TT: Sie sind ein Weltstar., daheim in den großen Museen der Welt. Und trotzdem stellen Sie an einem so unbedeutenden Ausstellungsort wie der Innsbrucker Sparkasse aus.

Weiner: Kein Ort ist unbedeutend. Und hier war mein Vorgänger immerhin Francoise Morellet. Aber Sie haben schon recht. Letztlich genügte ein Brief meines Freundes Heinz Gappmayr. Wir Künstler sind schließlich alle Gastarbeiter.

TT: Sie mögen aber generell Ausstellungsorte, die keine eigentlichen Kunstorte sind.

Weiner: Meine Aufgabe ist es, Kunst für die Menschen zu machen. Und wenn ich meine Kunst auf Fassaden oder an Wände schreibe, trifft sie wahrscheinlich auf mehr Menschen als in einem Museum.

TT: Wollen Sie mit Ihrer Kunst etwas bewirken, der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten, sie vielleicht verändern?

Weiner: Das ist schwierig. Die Menschen sind mit ihrer Situation nicht zufrieden, der Künstler auch nicht. Und was er macht, ist der sehr subjektive Ausdruck dieser Unzufriedenheit.

TT: Kunst als Medium politischer Agitation?

Weiner: Alles ist politisch. Niemand steht in der Früh auf und geht am Abend ins Bett ohne dazwischen politisch zu handeln. Und ein Künstler, der sich in die innere Emigration zurück zieht und l’art pour l’art macht, ist für mich kein Künstler. Kunst, die nicht auf ein Gegenüber abzielt, ist für mich keine Kunst.

TT: Ihr Medium ist die Sprache.

Weiner: Die Schrift ist das Material, mit dem ich am liebsten arbeite. Denn mit der Sprache kann ich mich weit differenzierter ausdrücken als mit einem Stück Holz etwa. Dieses schaut in Japan gleich aus wie in Tirol, die Sprache hat dagegen unmittelbar mit der Seele der jeweiligen Völker zu tun. Die Texte, die ich erfinde, haben zwar allein mit mir zu tun, die Metaphorik, die im Kopf des Betrachters entsteht, hat dagegen allein mit diesem zu tun.
Zum Nachdenken

TT: Erfinden Sie die jeweiligen Texte immer für den jeweiligen Ausstellungsort?

Weiner: Nein. Meine Texte funktionieren in einem Museum genauso wie in einer Bank. Die Menschen sind viel intelligenter, als wir gemeinhin glauben. Meine Botschaften stellen Fragen, die den Betrachter zum Nachdenken zwingen.

TT: Die Sprache eines Malers, Zeichners oder Bildhauers wird nonverbal verstanden. Um Ihre Kunst zu verstehen, muss man die jeweilige Sprache verstehen. Ist das kein Problem für Sie?

Weiner: Meine Texte schreibe ich in Englisch, bei Ausstellungen werden sie aber immer in die Sprache des Ausstellungsortes übersetzt. Derzeit bereite ich gemeinsam mit Heinz Gappmayr eine Präsentation in Saudiarabien vor. Ich habe aber auch schon in Japan ausgestellt. Es ist für mich nicht wichtig, alle Schriften selbst lesen zu können.

TT: Für Sie ist also das Konzept das Wesentliche und nicht Ihre individuelle Handschrift.

Weiner: Ich weiß nicht was ein Konzeptkünstler ist, ich bin jedenfalls absoluter Materialist. Von dieser von Kunsthistorikern erfundenen Schubladisierung halte ich überhaupt nichts. Ich bin ein klassischer Bildhauer. Nur dass mein Werkstoff halt die Sprache ist.

TT: Ihre Arbeit in der Sparkasse ist direkt an die Wand geschrieben. In zwei Monaten wird eine andere Ausstellung folgen, was passiert dann mit dieser Arbeit?

Weiner: Was bleibt, sind einerseits Publikationen, aber auch die Idee für diese Arbeit, die an einem anderen Ort in anderer Konfiguration wieder Kunst-Wirklichkeit werden kann. Vielleicht lässt sich jemand diesen Satz tätowieren.

TT: Wie haben Sie begonnen?

Weiner: Ganz klassisch als Bildhauer und Maler. Mit 18 waren Mondrian und Chamberlain meine Vorbilder. Seit etwa 1965 arbeite ich ausschließlich mit der Sprache. Gleichzeitig haben interessanterweise in aller Welt unabhängig voneinander Künstler dieselbe Idee gehabt, hier in Tirol Heinz Gappmayr, in Frankreich Daniel Buren. So zu arbeiten, war offensichtlich das Bedürfnis einer ganzen Generation nach einer grundlegenden Erneuerung der Kunst.

TT: Sie leben in New York. Hat der 11. September Ihre Kunst verändert?

Weiner: Nein. Ich wollte auf diese Ereignisse auch ganz bewusst nicht als Künstler, sondern als Bürger reagieren. Wir alle leben in derselben Realität. Leider wurde als Folge des 11. September ein Projekt für ein Buch für palästinensische und jüdische Kinder gestoppt. Die Situation in New York ist generell sehr trist. Die Arbeitslosigkeit ist groß, die Infrastruktur liegt noch immer darnieder.

TT: Stehen große Ausstellungsprojekte an?

Weiner: Derzeit habe ich in New York eine große Personale, meine nächste Ausstellung ist in Ohio und für Lissabon ist eine große Schau in Vorbereitung.
2002-04-25 15:32:22