text breit    text schmal   
drucken 
Bilder keine Bilder

derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
17.02.2004
19:41 MEZ
Von
Thomas Wulffen

Link

Uni Lünbeburg:
"Die Regierung"

Bis 12. 4.

 
Foto: uni-lüneburg
Hinter-gründig: Auf die Rückseite einer Projektion von Jean-Luc Godards "Tout va bien" lässt Roger M. Buergel Harun Farockis "Schöpfer der Einkaufs-welten" beamen.

Foto: uni-lüneburg

Blick zurück auf die eigenen Zustände
Seit Roger M. Buergel überraschend zum Leiter der Documenta 12 gekürt wurde, erfreuen sich seine Projekte ungeahnter Aufmerksamkeit

...Derzeit zeigt er in Lüneburg seine Überlegungen zum Thema "Regierung".


Zwar liegt die Documenta 12 noch in weiter Ferne, dennoch wollen die Auguren die Zeichen deuten, wo sie aufscheinen. Seit Roger M. Buergel zum nächsten Documenta-Leiter bestimmt wurde, können sich jene Institutionen freuen, die schon vorher mit ihm Projekte abgeschlossen hatten. Sie können ein erhöhtes Interesse verzeichnen.

Den ersten Nutzen daraus zieht der Kunstraum der Universität Lüneburg, in der Peripherie Hamburgs gelegen und peripheren Kunstpraktiken zugeneigt. Wer die Archive des Kunstraums durchsucht, stößt öfter auf den Namen Roger M. Buergel, sei es unter dem Titel Revision des Abstrakten Expressionismus oder Formen der Organisation mit begleitenden Ausstellungen.

Unter Buergels Leitung haben sich Studierende des Fachbereichs Angewandte Kulturwissenschaften zusammengefunden, um das Thema Die Regierung zu bearbeiten. Die jüngst eröffnete Schau ist Teil eines langfristigen diesbezüglichen "work in progress", dessen erste Station, ebenfalls vor Ort, letzten November präsentiert wurde.

So konnte der Kurator mit feinem Understatement diesmal darauf verweisen, dass der Filmausschnitt aus Jean-Luc Godards Tout va bien ja schon in der ersten Präsentation zu sehen war, hier aber unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten ist. Auf der Rückseite der Projektion war als zeitgenössische Version des Supermarkts ein Ausschnitt aus Harun Farockis Schöpfer der Einkaufswelten von 2001 zu sehen.

Wo bei Godard 1972 die Massen noch zur Plünderung des Marktes schreiten, wird bei Harun Farocki in den Diskussionen zwischen Manager und Vertreter das richtige Display der Brotwaren diskutiert, damit der Käufer dem Diktat der Waren gehorche.

Diese Gegenüberstellung lässt zwei entscheidende Momente deutlich werden: Zum einen wird das Sujet, die Regierung, nicht nur einfach abgebildet, sondern auch in die Form der Darstellung aufgenommen. Schließlich sei das Thema extrem komplex, wie Buergel unumwunden zugibt, um gleichzeitig, zusammen mit Ruth Noack, eloquent in die Ausstellung und deren Bestandteile einzuführen.

Regieren lässt sich annäherungsweise als eine Form des Handelns verstehen, die andere Handlungsräume sowie die Handlungsräume anderer strukturiert. Eine derartige Bestimmung leitet sich aus Überlegungen des späten Foucault zur so genannten "Gouvernementalität" ab. Sollten wir ähnliche Überlegungen auch auf der nächsten Documenta wiederfinden, so kann zumindest behauptet werden, dass der postkoloniale Horizont verlassen wurde, um den Blick auf die eigenen Zustände zu richten.

Und das lässt sich auch vor Ort in Lüneburg erfahren. Eine Arbeit von Alan Sekula aus 1978 lieferte den Titel für diese Folge des Ausstellungszyklus. Aus School is a factory wurde Die Universität ist eine Fabrik, und dieser Titel nimmt direkt Bezug auf die Diskussionen auf dem Universitätscampus wie auf der tatsächlichen Regierungsebene.

In Sekulas Arbeit verschränken sich Text und Bild zu einem kritischen und ironischen Kommentar zum fließenden Übergang von Schule und Fabrik. Und das wird dann auch noch verdeutlicht durch grafische Zeichen an der Wand, die gelesen und gedeutet werden wollen.

In Martha Roslers Losing: A Conversation with the Parents aus 1977 weitet sich der Blick wieder, einerseits auf ein privates Schicksal und andererseits auf das zeitgenössische Bekenntnisfernsehen. Im Video erzählt ein Elternpaar von dem Verlust ihrer Tochter durch Magersucht. Es fällt schwer, diesen Verlust im Kontext von "Regierung" zu sehen. Aber dann haben wir vielleicht noch nicht den richtigen Begriff dafür gefunden.

Roger M. Buergel wird die Ausstellungsfolge fortsetzen, um Klärung herbeizuführen. Nächster Termin ist Ende April in Lüneburg. Dann folgt Barcelona mit der Frage "Wie wollen wir regiert werden?", und für Februar 2005 wird das Projekt Station in der Secession Wien nehmen. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.2.2004)


© 2004 derStandard.at - Alle Rechte vorbehalten.
Nutzung ausschließlich für den privaten Eigenbedarf. Eine Weiterverwendung und Reproduktion über den persönlichen Gebrauch hinaus ist nicht gestattet.