05.06.2003 21:22
Ein Kellerlokal und seine Folgen
Eine außergewöhnlich gute Schau zum "Mythos Art Club"
Mit der außergewöhnlich guten Schau "Mythos Art Club - Der
Aufbruch nach 1945" versucht die Kunsthalle Krems etwas Licht und Distanz ins
Dunkel der zahllosen Legenden um die strohgekleidete Geburtsklinik der
österreichischen Moderne zu bringen.
Krems - Der neueste Stand der Forschung bestätigt: Es hat den Art Club
tatsächlich gegeben! Vom 10. Jänner 1947 an, als bizarre Vereinigung von im
Nachhinein betrachtet unglaublich gegensätzlichen Mitgliedern, vom 15. Dezember
1951 an, als "Nachtgalerie" unter der Kärntnerbar, die Fritz Wotruba ob ihrer
Dimension und pusztaorientierten Billigwandverschalung "Strohkoffer" taufte,
danach für wenige Monate als ordentliche Galerie mit bildgerecht weißen Wänden
in der Singerstraße.
Bis zur offiziellen Auflösung im finalen Zerwürfnis
1959 nur auf dem Papier, bis heute als Legende, als Gründungsmythos der Moderne
in Österreich, als Logo für das große Aufatmen nach dem
Naziregime.
Gerhard Habarta hat im Katalog zu Wolfgang Denks längst
überfälliger Ausstellung Mythos Art Club - der Aufbruch nach 1945 in der
Kunsthalle Krems versucht, die Vielzahl der Wahrheiten (heute oft mehr als eine
pro Mitglied) über den Art Club zu einer Geschichte zu verschmelzen, wie sie so
tatsächlich stattgefunden haben könnte. Otto Breicha und Wieland Schmied
erinnern sich zusätzlich. Wer aller dabei war, dies heute biografieschmückend
behauptet oder hartnäckig leugnet, und wer bloß dort war oder selbst das nicht,
konnte dennoch nicht vollständig geklärt werden. Egal.
Tatsache ist,
dass einander überlappende Freundeskreise von nicht einmal 50 Quadratmetern aus
in wenigen Monaten für Jahrzehnte festlegten, welche Wege österreichische
Künstler austreten würden. Die Folgen heißen etwa: Wiener Schule des
Phantastischen Realismus, Friedensreich Hundertwasser, Arnulf Rainer, Susanne
Wenger, Maria Bilger.
Drei Ellbogen
Zum vielleicht
ersten Wiener Künstler-In-Lokal wurde der Art Club durch Alfred Schmeller,
späterer Nachfolger von Werner Hofmann als Direktor des Wiener Museums moderner
Kunst. Schmeller hatte, wird Fritz Wotruba in den Mund gelegt, kriegsbedingt
"nur einen Arm, aber drei Ellbogen", er war die PR-Maschine des
"Strohkoffers".
Seine Werkzeuge waren oft beißende (Kunst-)Kritik im
Kurier und legendär trinkfeste Geselligkeit. "Es nützt uns nichts, einmal im
Jahr im Sommer oder Winter eine Ausstellung zu machen. Wir brauchen einen
eigenen Platz. Wir dachten an ein Existenzialistenlokal, ohne dass irgend-
jemand genau gewusst hätte, was das ist, außer dass es verraucht ist und man
beisammen sitzt und sich unterhält", beschrieb Schmeller sein Erfolgskonzept.
In Max Lersch fand sich gleich der Mann, der eine Mutter mit einer Bar
mit leer stehendem Keller hatte. Und als es dann auch noch, generalstabsmäßig
geplant, gelang, kein Geheimnis daraus zu machen, dass der heilige Jean Cocteau
den "Strohkoffer" besuchen würde, und nachher zu verkünden, dieser hätte es auch
recht "pariserisch" gefunden, war es Zeit, wegen Überfüllung Zählkarten
auszugeben - für die Boheme, die Mikl oder Hollegha bestaunen, die
Nichtmitglieder Uzzi Förster, Joe Zawinul oder Paul Gulda spielen, H.C. Artmann,
Paul Celan oder Gerhard Rühm erleben wollten.
Spätestens zu diesem
Zeitpunkt war Fritz Wotruba schon missmutig: "Im Art Club hat sich alles
gefunden. Vor allem die Kunsthistoriker und Kritiker. Die brauchen doch immer
etwas. Der Kunsthistoriker braucht nicht in erster Linie das Kunstwerk, das er
ja gar nicht erkennt. Er begreift nicht, nicht mit den Händen, er ertastet nicht
mit den Augen, er braucht die Literatur. Er braucht gar nichts zu sehen, hören
muss er. Das Gehörte trifft ihn wie ein Infekt, beinahe krank wird er. Das
schwitzt er dann aus, und dann ist er gesund."
Kurator Wolfgang Denk ist
es gelungen, beachtlich viele Initialarbeiten aus den Art-Club-Ausstellungen
wieder zusammenzuführen. Die Phantasten, die Abstrakten, die Surrealisten und
die gemäßigt Expressiven gemeinsam auszustellen. Maria Bilgers Terrakotten sind
wieder einmal im Zusammenhang mit Arbeiten von Heinz Leinfellner, Susanne
Wenger, Johanna Schidlo oder Tapisserien Fritz Riedls zu sehen. Arnulf Rainers
abrupter Ausstieg aus surrealen Träumen hin zu Tachismus und Informel sind
ebenso nachzuerleben wie die eigenwilligen Entwicklungen von Rudolf Hoflehner
oder Johann Fruhmann.
Unter den Schlüsselbildern für Österreichs
Anschluss an die Moderne: Hundertwassers Wenn ich eine Negerin hätte, würde ich
sie lieben und malen, Rudolf Hausners Das aporische Ballett sowie Ich und Es,
Ernst Fuchs' Passio 47/60 oder das erstaunlich aktuell wirkende Bild Psalm 69.
Die Zusammenschau rund um den "Mythos" ist bestens vorgetragene
Zeit(kunst)geschichte und ruft auch jene Namen wieder in Erinnerung, die es zu
geringerer Popularität gebracht haben, das Umfeld dennoch wesentlich
mitbestimmten: Edgar Jené, Carl Unger, den eigentlichen Art-Club-Gründer G.K.
Beck, den Grazer Rudolf Szyskowitz oder Arnulf Neuwirth. Und Rudolf Charles von
Ripper, der immer wieder Geld besorgen konnte, Art-Club-Events auch zu
finanzieren. Wieland Schmied erinnert sich: "Er war aus Amerika zu uns gestoßen.
Später hörten wir von ihm, dass er für die CIA gearbeitet haben soll."
(DER
STANDARD, Printausgabe, 6.6.2003)