16.10.2003 20:05
Christus im Stau
Temporäre
Neugestaltung des eisernen Vorhangs der Staatsoper - Foto
Wien – "Ein Haus", sagte Frank Stronach, "kann noch so schön
sein – wenn der Vorhang nicht passt, dann stimmt etwas nicht!" Und deswegen
möchte er gleich jetzt ansuchen, auch künftig für die künstlerisch wertvollen
Wechselbezüge des eisernen Vorhangs der Wiener Staatsoper aufkommen zu dürfen.
"Mein Gott", öffnete sich daraufhin Ioan Holenders Herz, "wie schön wäre unsere
Welt, wenn es mehrere Frank Stronachs gäbe."
Der Fortbestand der
Kooperation zwischen Staatsoper und museum in progress ist also gesichert. Für
die Spielzeit 2003/2004 hat der deutsche Künstler Thomas Bayrle jenes 70 Kilo
schwere Netz entworfen, dass Rudolf Eisenmengers ebenso ungeliebte wie
denkmalgeschützte Originalgestaltung aus 1953 verbirgt. Und es ist ein Christus
geworden, der den Besuchern im Parsifal- Jahr die Wartezeit verkürzen soll. Der
Schmerzensmann schwebt über einer Stadt von "großartiger Langeweile", beschreibt
Bayrle seine Arbeit, "einer Stadt ohne Attraktionen, zusammengesetzt aus nur
fünf Hausmodulen und je einem für die Straßen und Gleise."
Dieser schon
in den 70er- Jahren entwickelten Montage zu Massenansammlung und -mobilität
setzt Bayrle einen ebenfalls aus Modulen entwickelten Christus vor. Basierend
auf einem Mix der Proportionen der Schmerzensmänner von Cimabue (1240–1320) und
Diego Velásquez (1599–1660), modellieren verschieden verzerrte Varianten eines
Polizeifotos einer deutschen Autobahn den Leib Christi. Für Bayrle kein
Gegensatz, da Christus mitten in unserer Welt steckt, aus ihr wächst, aus ihr
besteht.
"Seit den frühen 60er-Jahren habe ich mich mit den idiotischen,
absurden, grotesken Bildern der Massenproduktion und des Massenkonsums
beschäftigt. Anstelle von Punkten setze ich Kaffeetassen, Ochsen, Schuhe als
Bildbausteine ein. Auch Autos, Telefone, Flugzeuge oder Häuser und Straßen habe
ich seit langem zur Konstruktion von Bildern verwendet", erklärt der 1937 in
Berlin geborene Pionier der Computerkunst und deutschen Pop-Art, die Verbindung
zwischen Jesus Christus und dem Otto-Motor.
Und da, laut Bayrle, jeder
Künstler einmal im Leben die Verpflichtung hat, sich mit dem "Archetypus" des
Gekreuzigten auseinander zu setzen, war das Parsifal-Jahr für ihn die
Gelegenheit dazu. (DER STANDARD, Printausgabe, 17.10.2003)