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09.05.2003 - Ausstellung
Wenn Künstler reisen …
… egal ob ans Ende der Welt, auf fremdes Terrain oder bloss bis zum nächsten Atelier – sie haben etwas zu erzählen und zu zeigen. Auch dann, wenn sie nur die Gedanken auf Reisen schicken. Das „schaufenster“ hat sich in Österreichs Ausstellungshäusern umg
Von Johanna Hofleitner


Nicht unbedingt gemeinsame Sache machten jene acht, die für „Island by Numbers“ wochenlang durch Island reisten. Doch es verband sie ein gemeinsamer Auftrag, formuliert vom Linzer OK Centrum: Ein Land künstlerisch zu erkunden, das sich durch geografische Randlage, extremes Klima, geringe Bevölkerungsdichte, eigenwillige Tradition und eine faszinierende Landschaft auszeichnet. Und sie sollten etwas mitbringen – etwas, das die Lebenszusammenhänge der Bewohner widerspiegelte, oder einen Bericht von einem Ort, der als ein „anderer“ empfunden werden konnte, oder auch einfach nur eine Erinnerung, Musik, einen Klang. So viele Künstler, so viele Antworten. Plank/Poschauko etwa arbeiteten ihre Eindrücke zur sound-untermalten Doppelprojektion um, Pepi Maier thematisiert in einer Kühlskulptur das Klima. Oder Gerhard Gutenberger: In einer isländischen Rettungshütte verbirgt er Reiseandenken. Poesie schwingt dabei allemal mit.

Norden, Stimmungen, Reisen – das spielt auch eine Rolle im Werk von Per Kirkeby, Herbert-Boeckl-Preisträger 2003. Drei Werkblöcke aus unterschiedlichen Phasen zeigt das Rupertinum parallel zur großen, Nolde und seinen Freunden gewidmeten Sommerausstellung.

Zur Komplettierung der Nordkunstexpedition seien auch drei Ausstellungen jüngerer Künstler empfohlen: in einem „Digitalen Garten“ lenkt die Dänin Ane Mette Ruge, ebenfalls im Rupertinum, mit hochtechnologischen Mitteln den Blick auf das Unscheinbare, Alltägliche. Im Salzburger Kunstverein gibt Videokünstler Peter Land mit „Ride“ einmal mehr den tragischen Antihelden. Und ebendort im Hauptraum begibt sich Ene-Liis Semper, estnischer Shooting-Star der letzten Venedig-Biennale, in existentielle Grenzsituationen und thematisiert per Video suizidale Inszenierungen.

Grenzgänger. Hand aufs Herz: Wie oft waren Sie in Bratislava? Die Stadt ist von Wien nicht weiter entfernt als St. Pölten. Jedenfalls gibt es jetzt Gelegenheit zu einer virtuellen Reise dorthin. Unter dem vieldeutigen Motto „Stadt in Sicht“ stellt das k/haus neue Kunst aus der benachbarten Hauptstadt vor. Parallel dazu kann Einsicht genommen werden in eine spezielle Form des Archivs: Seit 20 Jahren hält Linde Waber ihre Atelierbesuche bei Kollegen aller Kunstrichtungen mit dem Zeichenstift fest. Mittlerweile gibt es um die 500 solcher Atelierzeichnungen, eine umfassende Auswahl davon präsentiert das k/haus – auch im Sinne einer „Topografie der österreichischen Kunst- und Zeitgeschichte“.

Auf eine Reise nach innen laden im Innsbrucker Taxispalais Ketty La Rocca und Helena Almeida. Während die jung verstorbene Italienerin in den 70ern daran arbeitete, die herrschende Politik der Körper mit den Mitteln der visuellen Poesie, bildenden Kunst und Performance sichtbar zu machen, lotet Almeida seit 35 Jahren die Grenzen zwischen innen und außen aus, indem sie ihre eigene Person in den Mittelpunkt ihrer Arbeiten setzt. Eine ähnliche Fragestellung verhandelt auch ein Projekt der Wiener Exnergassen-Kunsthalle: Wie gehen Künstlerinnen der jungen Generation mit der Grenze zwischen Innenwelt und Außenwelt um? „drinnen ist’s anders“ versammelt Diainstallationen, Videoarbeiten und Fotografien von 14 Künstlerinnen aus Österreich, Deutschland, der Schweiz und den USA, darunter Anita Fricek, Almut Rink, Ulrike Lienbacher, Maria Hahnenkamp.

Um mediales Terrain geht es auch in der Secessions-Ausstellung „Fate of Alien Modes“ („Schicksal vom fremden Code“): Im Mittelpunkt des prominent besetzten Projektes stehen Kino, Spielfilm, Video und Kunstfilm – alle in verräumlichter, den Kunst- und Filmdiskurs gegen den Strich bürstender Form. Neben Installationen umfasst die Schau script-basierte Formate, temporäre Set-Architektur, Sound-Arbeiten und performative Prozesse (mit Chantal Akerman, Thomas Bayrle, Jean-Marie Straub/Danièle Huillet, Harun Farocki, Penelope Georgiou, Jack Goldstein, Derek Jarman, Ulrike Ottinger, Michael Snow, Judith Barry, Angela Hareiter, Karl Sierek).

Wie denn der Sommer insgesamt jede Menge anspruchsvoller Medienkunst bietet. Als spannende Ergänzung zur schwergewichtigen Secessions-Ausstellung bietet sich etwa Mathias Polednas Installation im MUMOK an, in der er auf unterschiedlichen Ebenen, unter anderem mit filmischen Mitteln, die Rhetoriken visueller Medien vom Kommerzfilm über den Video-Clip bis hin zum Avantgardekino untersucht.

Relativ schlicht wirken dagegen Anri Salas zwischen Poesie und Dokumentarismus pendelnde Videoschleifen in der benachbarten Kunsthalle. An philosophischen, politischen und literarischen Referenzen reich ist schließlich das Oeuvre des amerikanischen Künstlers Allen Sekula. Während er sich in seinem dreißigjährigen Schaffen einen Namen vor allem mit dokumentarischen Sequenzen machte, in denen es um soziale Bedingungen und ökonomische Verhältnisse geht (beispielsweise die Lebensumstände von Hafenarbeitern), richtet die Generali-Ausstellung ihr Augenmerk besonders auf Sekulas Interesse am Theatralischen, das die dokumentarische Seite der Arbeit um die Dimension des Ironisch-Humorvollen erweitert.

Eckpunkte. Es gibt also viel zu tun, in diesem Sommer. Zum Pflichtprogramm für Kunstinteressierte gehört eine ganze Reihe von Klassikerausstellungen: Da kann man seine Duchamp-Kenntnisse auffrischen im Wiener Heiligenkreuzerhof, wo Bekanntes und Unbekanntes aus dem Schaffen des großen Dadaisten, Surrealisten, Präkonzeptualisten, Übervaters aller Postmodernen gezeigt wird. Die Kunsthalle setzt nach und organisiert ein kleines, doch feines Marcel-Broothaers-Festival (parallel zum großen, Kunst und Krieg in Zeiten der Medien untersuchenden „Attack!“-Projekt). Das MUMOK gibt Kippenberger, Enfant terrible des späten 20. Jahrhunderts, das MAK mit Kurt Kocherscheidt einen Meistermaler. Die BAWAG statuiert mit Marcus Geiger und Peter Kogler ein Exempel in Sachen Team-Work. Das KUB füllt Franz West mit neuen Möbelensembles und versucht einmal mehr die Kluft zwischen Kunst und Leben zu erweitern. Für den Kunstraum Innsbruck transformiert Arte-Povera-Meister Jannis Kounellis den Raum mittels Leinwand und Holz zur realen Bildfläche. Und in Linz steht mit dem neu erbauten Lentos ein ganzes Museum für „Avantgarde und Tradition“. Reisen Sie!

Mit besonderer Empfehlung

Architekturzentrum Wien: „Jan Kotera. Aufbruch in die tschechische Moderne 1871–1923“, bis 7.7.
Bawag Foundation, Wien: „Marcus Geiger & Peter Kogler: Hallo Bawag”, 29. 6.
Camera Austria, Graz: „Freundschaftsspiel“, bis 30. 5.
Fotohof, Salzburg: „Stefan Kruckenhauser: ,Ein Dorf wird’ (1952)”, bis 7. 6.
Freiraum/transeuropa im MQ Wien: „Quo vadis Logo!?“, 31. Mai bis 29. Juni.
Generali Foundation: „Allan Sekula: Performance under Working Conditions“, 16. 5.–17. 8.
Heiligenkreuzer Hof, Wien: „Marcel Duchamp – Druckgrafik“, 9. 5.–7. 6
KUB, Bregenz: „Franz West“, 5. 7.–14. 9.
Kunsthalle Wien: „Attack! Kunst und Krieg in den Zeiten der Medien“, 23. 5.–21. 9.„Marcel Broothaers“, 4. 7.–26. 10.
Kunsthalle Exnergasse: „drinnen ist’s anders“, bis 7. 6.
Kunsthaus Wien: „Bernhards Österreich. Hundertwassers Paradiese. Fotografien von Erika Schmied“,  12. 6.–31. 8.
Kunstraum Innsbruck: „Jannis Kounellis“, 4. 7.–27. 9.
k/haus, Wien: „Linde Waber. Genius Loci“, 17. 5.–27. 7., Stadt in Sicht“, bis 27. 7.
Landesmuseum St. Pölten: „Heinz Cibulka“, bis 31. 8.
Landesmuseum Joanneum: „Himmelschwer“, bis 15. 6.
Lentos, Linz: „Avantgarde und Tradition“, 18. 5.–9. 11.
MAK, Wien: „Kurt Kocherscheid. Das fortlaufende Bild“, 25. 6.–5. 10.
MUMOK, Wien: „Nach Kippenberger“, 12. 6.–31. 8., „Mathias Poledna“, 12. 6.–24. 8.
Neue Galerie Graz: „Phantom der Lust: Visionen des Masochismus in der Kunst“, bis 24. 8.
NÖ Dokumentationszentrum: „4 Positionen: Blank, Cmelka, Emmelmann, Roithner“, 18.7.-30.8.
OK Centrum, Linz: Island by Numbers”, 28. 5.–13. 7.
OÖ Landesgalerie, Linz: „Michael Kienzer“, bis 25. 5., „Archetypen“, 11. 6.–31. 8.
Residenzgalerie Salzburg: „Oskar Kokoschka und die Schule des Sehens“, 9. 8.–7. 9.
Rupertinum, Salzburg: „Nolde, Schmidt Rotluff und ihre Freunde“, bis 20. 7., „Per Kirkeby“, bis 13. 7., „Jean Dubuffet“, 26. 7.–19. 10.
Salzburger Kunstverein: „Ene-Liis Semper“, 12. 6.–27. 7., „Peter Land“, 15. 5.–8. 6.
Secession, Wien: „Fate of Alien Modes“,  10. 5.–22. 6.
Taxispalais, Innsbruck: „Helena Almeidas/Ketty la Rocca“, 6. 6.–10. 8.



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