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28. Juli 2009
17:32 MESZ

Die Kamera lügt. Wolfgang Tillmans hielt dennoch an der Idee der fotografischen Wahrheit fest: "Kate sitting" (1996).


Ikonen-Stau und flache Effekte
Mit einem engagierten Zuviel an Meisterwerken gerät die Ausstellung "Das Porträt im Wandel der Zeit" ins Stolpern

Als neuer Direktor der Kunsthalle Krems hat sich Hans-Peter Wipplinger die Latte hoch gelegt.

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Krems - Es ist, wie mit vielen anderen nicht objektiv messbaren Dingen auch - reine Ansichtssache: "Das Gesicht ist ein Abbild der Seele", hielt Cicero im Jahre 55 v. Chr. fest. Wohingegen gut 1800 Jahre später Immanuel Kant abgeklärt und nüchtern formulierte: "Das Gesicht selber sagt nichts, ob es gleich hübsch ist, und redet nicht zum Herzen." Und auch in den Künsten können die Ansichten weit auseinander liegen: Schwärmen die einen, so wie Goethe, vom Spiegelcharakter des Porträts, teilen andere, etwa Oscar Wilde, dem künstlerischen Seelenbildnis eine harsche Abfuhr: "Jedes Porträt, das mit Gefühl gemalt wurde, ist ein Porträt des Künstlers, nicht dessen, der ihm dafür gesessen hat."

Zahllose Zitate lassen sich in der Geschichte für und gegen den Seelengehalt des menschlichen Abbilds finden, jedoch tut das dem Grad, mit dem menschliche Gesichtszüge mehr als alle anderen Bilder zu fesseln vermögen, ebenso keinen Abbruch wie dem großen Verlangen nach einem Bild von sich selbst. Spätestens seit Narziss' verliebter Spiegelbildbetrachtung versucht der Mensch, sich im eigenen Konterfei zu erkennen und dieses Wesensbild möglichst auch - in Form seiner ganzheitlichen Inszenierung - für andere erkennbar zu machen.

Lückenlose Bildertapete

Sehnsucht nach dem Abbild untertitelt auch die Kunsthalle Krems ihre große Sommerausstellung, die weit ausholend und bestückt mit 180 Meisterwerken von Lucas Cranach bis Jonathan Meese eine Geschichte vom Porträt im Wandel der Zeit erzählen möchte. Genug Beispiele wären dank der Leihgaben aus 36 verschiedenen Sammlungen und einer ganzen Reihe wohlbekannter Gemälde aus der Sammlung Batliner der Albertina vorhanden. Aber die Lückenlosigkeit der Bildertapete, die im Sinne befruchtender Konfrontation Zeitgenössisches zwischen Historisches schummelt, macht die Ideen der Ausstellung nicht automatisch augenfälliger.

Zum Entrée serviert uns Hans-Peter Wipplinger als neuer Direktor des Hauses eine wuchtige Ikone, die der Kunstgeschichte seit fünf Jahrhunderten Verdauungsbeschwerden verursacht: Mona Lisa - in einer material- und extremitätenreichen Fassung von Gelitin, akkompagniert von der frivol betitelten Version Marcel Duchamps (L.H.O.O.Q.: kurz für "Elle a chaud au cul" , dt.: "Ihr ist heiß am Hintern" ). Für die kunsthistorischen Leibschmerzen sorgen die Rätsel, die sich bis heute um die tatsächliche Identität des Da-Vinci-Modells ranken. Die millionenfache Reproduktion des Gemäldes wischt im gleichen Moment jeden Gedanken an eine Seelenlandkarte vom Tisch und ersetzt ihn mit Fragen zu Reproduktion und Aura des Kunstwerks (Walter Benjamin).

Aber freilich kann man - wenn man will - auch das Kapitel "Vom Urbild und Abbild - das Dilemma der Ähnlichkeit" mit den Kopien einer Ikone, mit dem "Aufbrechen gewohnter Sehpraktiken" einläuten. "Ist nicht jede Rückführung ins Zweidimensionale eine Interpretation?" , fragt Wipplinger. Aber gerade diese vielfältigen Anknüpfungspunkte der ausgesuchten Werke bereiten der sehr bemühten Porträt-Ausstellung Schwierigkeiten, lassen sie da und dort unkonkret wirken. Erst recht da, wo Beispiele von Katrin Plavcak und Siggi Hofer kapitellos, quasi als Reserve-Intermezzo, in der Ausstellung auftauchen. Vieles passt gleich in mehrere Kapitel, von denen weitere "Dekonstruktion und Deformation" , "Inszenierung und Maskerade" oder "Stars und Heroen" heißen. In Letzterem gibt es zwischen Warhol und Elke Krystufek auch Positionen wie jene des jungen deutschen Künstlers Simon Schubert zu entdecken, der das auf Linien reduzierte Gesicht Samuel Becketts in einen Bogen Papier falzte.

Hitler im Dazwischen

Man könnte die Ausstellung täglich neu hängen, lacht Wipplinger. An Einfällen dazu mangele es ihm nicht. Von der provokanten Idee, das Hitler-Porträt Otto Mühls eventuell als stilisiertes, heroisierendes Porträt eines Diktators in die Abteilung der Stars und Helden einzureihen, als Störmoment, hält er allerdings nichts. Er hängt Hitler als eine Gestalt, die das 20. Jahrhundert in ein "Davor" und "Danach" einteilt, in eine Art "Dazwischen" : auf eine unspektakuläre und mit allerlei technischem Schalterwerk versehene Rückwand. Allerdings kontrolliert dort der "Führer" noch immer die Blicke seiner Opfer: Christian Boltanski hat den jüdischen Schülern eines Gymnasiums ein eindrückliches Denkmal gesetzt. Eine Konfrontation, die in einer dem Wesen des Porträts gewidmeten Schau zu sehr dem Effekt verpflichtet ist. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe, 29.07.2009)

Bis 26. 10.

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