09.04.2002 20:32:00 MEZ
Identität - nicht nur im Kopf
Der Ton als bildnerisches Material: Bernhard Leitners "Soundspacesound" im Künstlerhaus

"Soundspacesound": Mit zehn Ton/Raum-Installationen der letzten Jahre stellt Bernhard Leitner im Wiener Künstlerhaus die konventionelle Vorstellung von Hören und Klang infrage - und weist sich als Vordenker der jüngeren Soundkünstler aus.


Wien - Mit dem Knie hört man besser als mit der Wade. Falsche Baustelle? Aber nein. Bernhard Leitner gibt dazu ein Beispiel, stellt einen in ein Ton-Feld - einzelne Bodenplatten, unter denen Ton wummert -, und die körperliche Sensation, das, was man im Allgemeinen in unseren Breiten unter Hören versteht und nur mit den Ohren assoziiert, verdichtet sich im Knie.

Eine von zehn Installationen der Schau Soundspacesound im Obergeschoß des Künstlerhauses, mit denen Leitner, Professor an der Wiener Angewandten, die Gegebenheiten von Klang und Raum, Innen und Außen infrage stellt. Grenzerlebnisse, die die Sinne schärfen sollen und nicht zuschütten mit Schall. "Ich bin kein DJ", sagt Leitner, mit Seitenblick auf aktuelle Phänomene. Dinge, die seine lange Jahre weitgehend unverstandene Kunst - die ihre Wurzeln in den 60er-Jahren und ihrer Minimal, Body oder Conceptual Art haben - erst heute einem größeren, vor allem auch jüngeren Publikum erschließen.

Die Zusammenhänge von Ton, Klang, Geräusch über Körper, der zum Raum, zur Architektur führt, bilden eine Art Achsensystem für die Arbeiten des 1938 in Vorarlberg geborenen Künstlers, der lange Zeit in Paris, New York und Berlin gelebt hat. Viele seiner Soundspaces, deren physikalische und andere Grundlagen Leitner in den Sechzigerjahren erforschte und damit experimentierte (etwa: Wie steigt eine Tonlinie mit abnehmender Stärke ab?), stehen im öffentlichen Raum. Für die documenta 7 (1982) fertigte er etwa einen Ton-Würfel an.

Zehn Installationen führen herkömmliche Vorstellungen von Sound ad absurdum. Ein Klang wölbt sich drei Meter über einer Person und wird doch direkt in der Schädeldecke spürbar. Der Mensch wird, auch zwischen hängenden Eisenplatten, zum Resonanzkörper. Ein Schuss romantischer Wunsch nach Synästhesie, die auf streng empirischem Wissen beruht, ohne Esoterik-Peinlichkeiten. Auch das Spielerische, das sich durch körperliche Erfahrungswerte und nicht kopfmäßig erschließt, ist Kalkül.

In einer der neuesten Arbeiten, Vertikal / für eine Person, überträgt der Besucher, auf ein beschalltes Metallpodest gestellt, die Schwingungen auf einen über ihn schweben- den Eisenring. Wo hört der Körper auf? Leitners Installationen sind auch Körper- und Wahrnehmungsphänomene, so wie etwa Alfons Schilling in seinen Bildern das Sehen und optische Phänomene als solchekünstlerisch thematisiert.

Klangverspiegelt nennt Leitner einen Raum, in dem er Klang - unabhängig von seiner Quelle - ähnlich wie Lichtstrahlen an Bildflächen spiegelt und auf die wahrnehmende Person.

Leitner versteht den Ton als bildnerisches Material. Ihn wundert, dass in einer Musikstadt wie Wien der Klang selbstverständlich nichts anderes als Musik ist. Dabei, meint Leitner (im Einklang mit außereuropäischen Kulturen), ist der Klangbereich wesentlich breiter. "Identität", sagt er - eben auch durch seine Installationen -, "findet nicht nur im Kopf statt."
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10. 4. 2002)




Quelle: © derStandard.at