Kostbare Pergamente und betörende Vierecke
Hedwig Kainberger St. Pölten (SN). Niederösterreich bildet sich ab. Und um dies mehr zu tun als bisher, ist das im Jahr 2002 in der jungen Landeshauptstadt St. Pölten eröffnete Landesmuseum zu seinem siebten Geburtstag um Raum und Inhalt gewachsen.
Die Erweiterung nach Plänen des Architekturbüros „Rataplan“ um rund 6,5 Millionen Euro mit etwa 1300 Quadratmetern für Café, Eingangshalle und Ausstellungsräume wurde am Wochenende – also am Fest des Landespatrons, des heiligen Leopolds – eröffnet. Museumsdirektor Carl Aigner nützt die Vergrößerung für eine frische Kombination dessen, was in Natur und Ästhetik das Typische Niederösterreichs ausmachen könnte: einiges aus Tier- und Pflanzenwelt, kostbarste Dokumente der Geschichte, Exquisites aus der eigenen Sammlung und viel Moderne. Folgende Dauer- und Sonderausstellungen sind erneuert: „Schätzereich“ Das Vexierspiel des Titels mit dem Reichtum an Schätzen und dem Herrschaftsgebiet voller Schätze ist für die neue Sonderausstellung über Geschichte nicht überheblich. Wie kostbar das Gezeigte ist, lässt sich mit Sinnen spüren: Zum Schutz der vielen, teils fast 1000-jährigen Originale ist das Licht gedämpft, die Temperatur ist niedrig.
Kuratorin Elisabeth Vavra zeigt in der kleinen, auf 300 Quadratmeter beschränkten Sicht auf die Geschichte von Kelten bis 1848 (Fortsetzung folgt 2010) das Prominenteste, was Stifte wie Melk, Zwettl oder Heiligenkreuz, Kunsthistorisches Museum und Haus-, Hof- und Staatsarchiv kurzfristig entbehren: Pergamente der Babenberger Zeit, das „Privilegium maius“ aus 1358, also die Fälschung des zugleich vernichteten „Privilegium minus“ von 1156, den Mailberger Vertrag von 1451 samt den 254 daran baumelnden Siegeln oder den Kommandostab Prinz Eugens und ein Dokument mit seinem Schriftzug „Eugenio von Savoy“. In St. Pölten ist also bis 11. April 2010 eine rare Gelegenheit, Schlüsseldokumente der österreichischen Geschichte aufzuspüren. „Poesie der Logik“ Spinn ich oder träum ich? Das muss sich ein Betrachter der Bilder der österreichischen Künstlerin Helga Philipp (1939–2002) fragen. In einer Fläche von Vierecken werden Kreise sichtbar. Im Vorbeigehen scheinen sich solche Viereckerlflächen zu verändern, ja, sogar zu bewegen. Warum kann strenge Geometrie lebendig werden? Bloßes Grau – diesfalls eine Wand voll mit allerlei Schattierungen – bannt den Blick. Warum kann der Blick auf Grau beruhigen?
Helga Philipp unterrichtete fast vier Jahrzehnte an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien, unter ihren Schülern waren Gerwald Rockenschaub und Brigitte Kowanz. Weil die gebürtige Wienerin ab 1978 in Ternitz lebte und arbeitete, ist sie niederösterreichisch genug, um mit der Retrospektive „Poesie und Logik“ – kuratiert von Carl Aigner und Brigitte Borchhardt-Birbaumer – im Landesmuseum gewürdigt zu werden (bis 24. Mai).Exquisites der Sammlung Trotz Erweiterung müssen zweieinhalb Säle für die landeseigene Sammlung genügen. Wie bei der Sonderschau „Schätzereich“ wird auch hier der Platzmangel zur Tugend: Nur Exquisites hat Kurator Wolfgang Krug ausgewählt. Im Kontrast zu dunkelroten und -grünen Wänden kommen der Stein von Skulpturen und die Farben von Bildern prächtig zur Geltung: ein romanischer Löwe aus Schöngrabern, Kremser Schmidt, das Feinste an Bildern des 19. Jahrhunderts, die „Zerfallende Mühle“ Egon Schieles sowie Werke heutiger Niederösterreicher wie Nitsch, Rainer und Frohner.Ameisen In der Naturkunde bleibt die Dauerausstellung unverändert. Im Zuge des Ausbaus wird der Schaugarten mit niederösterreichischen Pflanzen und Tieren erweitert. Die Sonderausstellung über Ameisen (seit März) wird bis Februar 2010 fortgeführt.