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Wurm im MAK: Ein Tisch ist ein Kasten

22.03.2011 | 18:39 | THOMAS KRAMAR (Die Presse)

In der Reihe „Künstler im Fokus“ zeigt Erwin Wurm, im Museum der angewandten Kunst, unter dem Motto „Schöner Wohnen“ Möbel, die er zu Möbeln umgebaut hat.

Wenn man einen (industriell gefertigten) Sessel ins Museum stellt, ist er dann noch ein Möbelstück oder schon ein Ausstellungsstück? Und wenn man „Sitzen verboten“ draufschreibt? Wenn man ihn umdreht? Ihn anmalt? Ihn umtischlert? Ihn fixiert, sodass er unbeweglich wird, also kein Möbel im Wortsinn mehr ist? Und was ist er dann: ein Objekt oder schon eine Skulptur? Noch angewandte Kunst oder schon „reine“, zwecklose Kunst?

Solche wunderbar naive Fragen sind essenziell für ein Museum der angewandten Kunst, aus der Sammlung und Ausstellungsgeschichte des Wiener MAK kann man sie lesen. Heimo Zobernig – der auch in der Reihe „Künstler im Fokus“ war – etwa antwortete sozusagen im Geiste Andy Warhols, indem er u.a. Billy-Regale ausstellte; Donald Judd (†1994) plädierte einst für klaren Dualismus: Wenn man darauf sitzen kann, dann ist es ein Möbel, wenn nicht, dann nicht.

„Kredenza“, „Punschkrapferl“

Was tut Erwin Wurm? Erraten: Er baut um, er stellt um, er stellt auf den Kopf. Er nimmt z.B. drei alte, braune, zerkratzte Kommoden aus den Fünfzigerjahren, stellt sie so aufeinander, dass alle Füße nach oben stehen, und nennt sie „Kredenza“. Die Pointe daran: Diese Kredenz mag ungewöhnlich aussehen, sie ist aber ohne große Einschränkungen funktionstüchtig. Oder sein „Punschkrapferl“: Ein im erbärmlichen Erbtanten-Rosa gehaltener Wandschrank steht auf der Seite, trotzdem ist das Spirituosenabteil gut zugänglich, jeweils eine Flasche Jägermeister und Inländer-Rum stehen nebst Gläsern drin. Einen anderen Kasten soll man nicht berühren, aus dem praktischen Grund, dass sein Lack abfärbt, entsprechend heißt er „Untouchable“. Ein tatsächlich etwas mickriges Möbel nennt Wurm despektierlich „Ugly Little Duck“, einen zur Sitzgelegenheit umfunktionierten Kasten mit geräumigen Flaschendepots auf beiden Seiten „Doppelbank für Trinker“.

Wurm selbst sieht man auf einem Foto (nicht das auf dieser Seite!): Er trägt Anzug und Sonnenbrille, sitzt auf einer Sitzfläche, auf einer Seite eine Schnittfläche, auf der anderen eine „echte“ Lehne, er erinnert in Styling und Pose ein wenig an Kunsthallendirektor Gerald Matt. Seine Krawatte ist gepunktet. Ebendieses Muster füllt, stark vergrößert, eine Wand der Ausstellung. Sieht ziemlich post-psychedelisch aus. Das Foto (mit Ur-Krawatte) hängt an dieser Wand.

Natürlich zitiert Wurm auch aus dem eigenen Werk: So sind auf einem der streng kubischen Sofas – bei denen man grübelt, wo und wann man diese Form schon gesehen hat: bei einer Design-Ausstellung 1990 oder im schwedischen Möbelhaus 2000? – Pulloverärmel angenäht, wie man sie aus Wurm-Videos kennt: Die Ärmel sind hier und jetzt wirklich nur dekorativ, man kann nicht hineinschlüpfen. Vor den anderen Sofas stehen Schuhe: lila vor dem orangeroten Sofa, gelb vor dem lilafarbenen. Die Farben schlagen einander brutal. Dürften zwanghafte Besucher die Schuhe vertauschen? Ja, sagt Wurm: Aber er würde sie wieder an den ursprünglichen Platz stellen.

Vielleicht auch stellen lassen. Dann würde die Anordnung per Anordnung wiederhergestellt. Und die Schuhe stünden nicht im Verdacht, auf erst zu enträtselnde Weise auch Möbel zu sein.


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