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Provokanter, radikaler: Vergessene weibliche Pop-Art

04.11.2010 | 18:32 | SABINE B. VOGEL (Die Presse)

In der bunten und facettenreichen Ausstellung „Power Up“ zeigt die Kunsthalle Wien ein viel zu lange übersehenes Kapitel der Kunstgeschichte: die weibliche Pop-Art.

Die Einladung war schnell ausgesprochen, aber die Konsequenz wollten die Herren dann doch nicht eingehen. Voller Angst vor einem Skandal beschlossen sie, die freizügig gezeichneten Genitalien auf Dorothy Iannones Bildern mit Klebeband zu verdecken – woraufhin die Künstlerin ihre Werke zurückzog. Das spielte sich 1970 in der Kunsthalle Bern ab, Iannone hat uns die Geschichte detailgetreu in einem kleinen Comicbuch überliefert.

In der Kunsthalle Wien können wir uns die Bildgeschichte jetzt Seite für Seite anschauen. Anders als damals sind all die nackten Figuren Iannones keine Provokation mehr. Im Gegenteil, ihre Bilder und ganz besonders dieses Buch erzählen uns viel von den Träumen der Hippie-Generation, von gesellschaftlichen Umbrüchen und den Schwierigkeiten der Künstlerinnen jener Zeit: Sie arbeiteten in einer Männerdomäne, zu der besonders in der Pop-Art kaum eine Frau Zutritt fand – oder ist das nur ein einseitig überliefertes Bild jener Kunstepoche?

 

Beatles-Album und Riesen-Halskette

Die Herren sind jedenfalls schnell aufgezählt, Claes Oldenburg, Jasper Johns, Andy Warhol, Roy Lichtenstein, in England Allen Jones und Peter Blake – aber wer kennt Jann Haworth? Sie war Blakes Ehefrau, gestaltete mit ihm das „Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band“-Album der Beatles. Aber ihr Name erscheint fast nie. Dabei sind ihre Collagen und genähten Werke der 60er-Jahre, der Frühstückstisch aus Stoff oder die riesige Halskette, faszinierende Objekte, nicht die üblichen 1:1-Übernahmen aus der Warenwelt, sondern biografisch transformiert und wirken gerade darum viel deutlicher als Spiegel ihrer Zeit.

Oder wer kennt Marisol, die neben Niki de Saint Phalle als einzige Künstlerin an der legendären New Yorker Pop-Art-Ausstellung 1962 beteiligt war? Auf einer Auktion letztes Jahr ging eine ihrer naiv-satirischen Skulpturen für 140.000 Dollar weg, offenbar gibt es eine Fangemeinde. Aber verglichen mit dem Ruhm ihrer Kollegen ist sie kaum bekannt.

Jetzt sind in der Kunsthalle Wien Werke von neun der wichtigsten Pop-Art-Künstlerinnen zu sehen. Es ist keine dieser leidlichen Frauen-Wiederentdeckungs-Ausstellungen, die Arbeiten überzeugen. Warum nur blieb die Rezeption dieser Epoche des späten 20.Jahrhunderts bis heute auf männliche Künstler beschränkt? Kuratorin Angela Stief findet in ihrer Auswahl eine Antwort: Die Pop-Künstlerinnen arbeiten oft autobiografisch, verbinden die plakative Ästhetik der Pop-Art mit Folklore und Handwerk, befragen die Rolle der Frau in der Gesellschaft. Offenbar brauchte es einige Jahrzehnte, bis der subjektive, experimentellere, deutlich kritischere Blickwinkel der Künstlerinnen breitentauglich wurde. Eine der Bedingungen dafür ist sicher die Überwindung ebenjener Tabus, die 1970 zur Zensur von Iannones Bildern führte. Eine andere ist die in der „high art“ sehr langsam schwindende Scheu vor Handwerk und Angewandtem, vor „low art“. Diese Hierarchie mag dazu beigetragen haben, dass die Siebdrucke der US-amerikanischen, katholischen Ordensschwester Sister Corita erst in den letzten Jahren gewürdigt werden. Die „malende Rebellin“ engagierte sich mit Transparenten und Plakaten gegen soziales Unrecht, Armut und den Vietnam-Krieg. Ihre politisch-kämpferischen Parolen wie „come alive“ oder auch „power up“ hat sie mit Leuchtfarben auf Siebdrucke aufgetragen, frech, laut und aktivistisch.

Die wichtigste Bedingung ist aber die heutige Offenheit für die Selbstthematisierungen. Denn ob nackt, wie bei Iannone, schematisch, wie in den Spiegelakten von Evelyne Axell, in einem Fass zusammengepfercht und verhüllt, wie bei Marisol, bedrohlich, wie in den wenig bekannten frühen Werken von Niki de Saint Phalle, als leere Hülle in Kiki Kogelniks „Hangings“ oder nur in Abwesenheit in den brachial gestapelten Spielzeugberg-Bildern von Christa Dichgans – die weibliche Pop-Art rückt die Vielschichtigkeit von Frauenbildern in den Blick und ist nicht zuletzt darin aktueller als ihre männlichen Pop-Kollegen.

Bis 20.2.2011, tägl. 10–19, Do 10–21 Uhr.


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