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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
23.05.2002
21:01 MEZ
Die Idee vom lebenden Fleisch
"Lebende Bilder": Die Kunsthalle Wien zeigt mit "Tableaux Vivants" ausgewählte Beispiele penibel nachgestellter Szenen

Von
Markus Mittringer

"Tableaux Vivants - Lebende Bilder und Attitüden in Fotografie, Film und Video",

24.5. bis 25. 8.,
tgl. 10-19 Uhr,
Do 10-22 Uhr,

Kunsthalle Wien,
Museumsquartier,
Museumsplatz 1,

Infoline
01-521 89/33


Kunsthalle
Wien.at

 
Foto: Kunsthalle/Antin/Ronald Feldman Fine Arts
Eleanor Antin, 2001
Fotografie, aus "The Last Days of Pompeii"
(Ausschnitt)
Courtesy Ronald Feldman Fine Arts, New York

Foto: Kunsthalle/Madame Yevonde Archive
Madame Yevonde:
Lady Dorothy Evely Campbell as Niobe, 1935
Courtesy National Portrait Gallery, London

Foto: Kunsthalle /Shermann
Cindy Sherman:
Untitled, # 197, 1989 Courtesy Shermann / Metro Pictures, New York

Foto: Kunsthalle/VBK, Wien
Valie Export:
Schoel, 1976
(nach Veronese, Die Erweckung des Jünglings zu Naim, um 1565)
Courtesy die Künstlerin

Tableaux vivants waren zu jeder Zeit bloß vorgeblich Nachstellungen des wirklichen oder Nachempfindungen des mythologischen Lebens. Die penibel gestellten Szenen waren und sind immer mehr Lebensräume zwischen Vision und Alltag. Die Kunsthalle Wien zeigt im Museumsquartier Beispiele.


Wien - Jörg Haider tut es ständig: Zuletzt, als er sich mit einem weißen Falken an seiner Seite dem arabischen Raum empfahl. Mobilkom-Chef Boris Nemsic tut es: Gerade eben präsentiert er sich werbend simultan in der Doppelrolle des ebenso eloquenten Managers wie allzeit bereiten Familienvaters, der drahtlos beim Drachensteigen seine Nachkommen anweist, was zeigt, wie die Zukunft der Kommunikation die Lebensqualität jedes Einzelnen verbessert. Ein jeder Amokläufer hat sein Vor-Bild, in Oberammergau hat das Nachstellen ebenso Tradition wie im Strandbad, bei Hof und im Espresso Erni.

Die Kunsthalle Wien zeigt "Tableaux Vivants". Die entsprechende Pressekonferenz fand nur einmal statt, sonstige "Lebende Bilder und Attitüden" sind "in Fotografie, Film und Video" aber bis Mitte August zu erleben. "All the world's a stage, and all the men and women are merely players", soll Shakespeare gesagt haben - "Was wir empfinden, ist nachempfunden", Thomas Bernhard.

Wirkungsästhetik

Tableaux vivants haben Goethes Mitbürgerschaft ebenso begeistert, wie sich der Wiener Adel gastfreundlich in Pose warf, ein "lebendiges Bild" mythologischer Geschehnisse zu geben. Was wiederum unmittelbar den Eindruck höfischer Lebendigkeit, umfänglicher Bildung und moralischer Festigkeit stärken sollte.

Der Aufwand, den solches Vorhaben stets mit sich brachte, und ebenso dessen Anfälligkeit für Fehler - das Risiko, dass just Helenas Räuber auf offener Szene einer Ohnmacht erlag, war nie auszuschließen - konnten durch die Entwicklung der Fotografie geteilt bzw. minimiert werden: Die Tableaux vivants fanden wieder ins Bild zurück, konnten festgemacht und verbreitet werden.

Der Malerei fehlte das unmittelbar Fleischliche, Oper und Theater strapazierten die Aufmerksamkeitsspanne über Gebühr. Die lebenden Bilder markieren die Geburtsstunde "moderner" visueller Kommunikation. Sie simulieren die Präsenz des Idols in der Gegenwart, behaupten dessen Status als "zeitgemäß" und suggerieren Erreichbarkeit: Genau du kannst Romeo sein oder Nero oder Jesus oder Robert Steinhäuser!

Mensch mit Sockel

Es bedarf bloß einer kleinen Erhöhung oder Auszeichnung. Piero Manzoni hat beides auf den Punkt gebracht: Ein Holzsockel mit ausgewiesener Beinstellung erhebt nicht nur jeden x-Beliebigen aus der Masse, sondern zwingt den Erhobenen auch - sei es aus Stolz, Eitelkeit oder Ungemach -, sich in Pose zu werfen. Und: Sein Akt, die Nacktmodelle direkt zu signieren, steigert nicht nur die schon dem Abbild zugrunde liegende Idee von deren fleischlicher Verfügbarkeit, sondern weist auch als ökonomisch tadelloser Akt in die unmittelbare Gegenwart. (Marcel Duchamp signierte das Urinoir ins Museum, Manzoni die Aphrodite ins Privatgemach.)

Ökonomisch an Manzonis Vorgangsweise war nicht nur die Überwindung des mühseligen und Kenntnis erfordernden Malaktes. Ebenso flexibel erwies sich seine Technik für den Fall steigender Nachfrage. Das Handschriftliche der Signatur behielt er sich vor - als Kopierschutz.

Den moralisch reinen Appell der Tradition Oberammergaus setzt Cindy Sherman fort, Arnulf Rainer entdeckte das gefrorene Tableau als geschützten Raum zur Erprobung entlarvender Gesten, Karl Valentin entdeckte die "lebende Karikatur", Rodney Graham das rein selbstbezügliche Epos. Yasumasa Morimura überführt Rembrandt, die italienische Renaissance und auch gleich die europäische Moderne des verschärften Kulturimperialismus, schreibt sich selbst als Handelnder in Europas Geschichte ein. Auch als Frau. Selbst als Cindy Sherman. Und Hiroshi Sugimoto lauert Wachsfiguren beim Passionsspiel auf.

Foto: Kunsthalle
Hiroshi Sugimoto: The Last Supper, 1999, Ausschnitt
Courtesy Sonnabend Gallery

Die Kuratoren Sabine Folie und Michael Glasmeier haben in bewährter Allianz mit den Pauhof-Architekten einen Einführungsparcours in die Geschichte der lebendigen Bilder gestaltet. Im Katalog beschreiben sie all jene Räume, auf welche die Ausstellung aus pragmatischen Gründen verzichten muss.

Die Ansiedlung des Themas zwischen Gegenwart und Geschichte zeigt die Tableaux vivants als Orte der Zuflucht, Stuben der Kritik, erweiterte Boudoirs, Behausungen für den Witz.

Die Schau wird auch über ihre Dauer hinaus ergänzt durch eine Verkettung ununterbrochener Performances im öffentlichen, privaten und virtuellen Raum.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24. 5. 2002)


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