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Hauptausgabe vom 09.05.2003 - Seite 009
OÖN-ATELIERBESUCH: Der Linzer Künstler Herwig Berger über die Brüche in seinen Arbeiten

Sein Seziermesser ist die Zeichenfeder

VON IRENE JUDMAYER

"Pia! Platz. Geh komm her Schatzi!" - mit diesem liebevollen Kommando beginnt ein OÖN-Atelierbesuch bei dem Linzer Künstler Herwig Berger. Denn im lauschigen Urfahraner Hinterhof an der Jägergasse ist das erste, was man wahrnimmt, ein intensiver, zungenfeuchter Schlabber von Pia, ihres Zeichens Dalmabeagledogge.

Auf den Bildern von Herwig Berger findet man die energiegeladene junge Hundedame nicht. Bergers Metier liegt jenseits des Naturalistischen. Dem war nicht immer so. Wie er den OÖN verrät, hat er schon als Kind alles aufgezeichnet, was ihm vor die Augen gekommen ist: "Diese Lust, dieser Drang, etwas darzustellen war mir schon sehr bald bewusst."

Herwig Berger hatte das große Glück, dass seine Familie die Dynamik erkannte, die sich da in dem Buben entwickelte: "Der Opa hat sehr viel und talentiert gezeichnet, ein Onkel auch, aber das war für mich nicht ausschlaggebend. Es war meine Notwendigkeit, kam aus meinem ureigenen Empfinden heraus."

Ein echtes Überlebensmittel, das auch seine Eltern immer unterstützt haben: "Natürlich war man sich damals noch nicht sicher, in welche Richtung das dann gehen wird. Und Eltern ist ja auch immer die sichere Versorgung ein Anliegen."

Darum lernte Berger zunächst auch Schriftsetzer im Wimmer-Medienhaus, wo seine künstlerischen Neigungen weitere Impulse bekamen: "Irgendwann wurde das dann so stark, dass ich immer mehr überlegte, ob ich nicht mit dem Zeichnen allein überleben kann!" So folgten das Studium an der Kunstuni und die ersten Jahre als Grafiker und später freischaffender Künstler, in dem sich der innere Zwang zum manischen Zeichnen immer mehr verfestigte.

Abrupt anders

Herwig Berger ist ein Virtuose der Raumbewältigung geworden. Diese Fähigkeit des Erkennens und Weitergebens von dreidimensionalen Strukturen zieht sich durch alle Stationen seiner Arbeit. Von den gegenständlichen, expressiv gestalteten ersten Werken bis herauf zum wehrhaften Mikrokosmos, der seine heutige künstlerische Position markiert.

"Bequem hätte er es haben können, der Linzer Künstler Herwig Berger. Sich zurücklehnen in jenen auch kommerziell durchaus ertragreichen Polster der klassischen Moderne, den sich der exquisite Zeichner in den letzten Jahren erarbeitet hat." - das war meine Reaktion auf eine Ausstellung des Künstlers im Jahr 2000. In der Schlossgalerie Steyr präsentierte sich Berger nämlich abrupt anders als sonst. Eine bemerkenswerte Häutung mit Mut zum Risiko. Was war der Auslöser? " Das war ein extrem emotionaler Bruch. Doch es war ein Riesenschritt in meiner künstlerischen Entwicklung." - Krise als Chance, sozusagen. Herwig Berger hat sie nutzen können. Hat die aus der Verwundung resultierende Aggression in seine zeichnerische Meisterschaft einbinden können.

Seine neue Formensprache basiert auf der Welt kurioser Mikroorganismen. Aus Tiefseewelten ebenso wie aus Heerscharen technoider Computer-Krieger. Zu Hundertschaften gezwungen in bizarre Kampfszenarien: Pure Energie gebändigt in präzis konzentriertes Zeichnen.

"Es war mir wichtig, eine Umsetzung zu finden, die nicht nur den äußeren Vordergrund vermittelt, sondern das, was im Hintergrund abläuft." - Berger hat sich zum bildnerischen Chirurgen entwickelt. Sein Seziermesser ist die Zeichenfeder, die er in bester Tradition eines Klemens Brosch, eines Otmar Zechyr benutzt. Dass dieses Werkzeug tief schneiden kann, lässt sich bei der Ausstellung ab 1. Juni in der Linzer Galerie Thiele überprüfen.


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