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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
07. September 2006
13:26 MESZ
Bis 4. Oktober 
Geboren aus tiefem Misstrauen
Medienkünstler Richard Kriesche zeigt im Kunsthistorischen Museum "genetische Porträts"

Wien - Dass Rembrandt Harmensz van Rijn in seinem großen Jubeljahr zum 400. Geburtstag auch einmal als einfacher Statist statt als zentraler Eyecatcher fungiert, ist etwas Neues. Seinem "Selbstbildnis im Pelz" von 1655 geht es dabei aber nicht anders wie vier weiteren Barock-Porträts der Maler Christoph Amberger, Guillaume Scrots, Jacopo Robusti, genannt Tintoretto, oder Gerolamo Forabosco im Bassano-Saal des Wiener Kunsthistorischen Museums.

Hauptattraktion in der im zweiten Obergeschoß versteckten Ausstellung datenwerk : mensch. das porträt - genealogie & genetik sind vielmehr die den Gemälden gegenübergestellten Arbeiten des Grazer Medienkünstlers und dreifachen - für Österreich wohl wichtigsten - Biennale-Venedig-Teilnehmers Richard Kriesche. Auch allesamt Porträts - wenn auch nicht a priori als solche erkennbar. Ihr Äußeres leitet sich eben nicht aus dem primär Sichtbaren ab, sondern vielmehr aus den kleinsten Bausteinen des Lebens, dem genetischen Code der DNA und ihren vier elementaren Nukleinbasen: A, C, G, T - Adenosin, Cytosin, Guanin, Thymin.

Ähnlich wie der genetischen Code funktioniert heute ein anderes - aber visuelles - Übersetzungssystem: das Farbschema CMYK - Cyan, Magenta, Yellow, Key (Schwarz), die grundlegende Sprache heutiger Bildgestaltung. Für Kriesche also nahe liegend, die Erbinformationen (etwa 657 Nukleotide der Gene F2 und F5 von sich und zwei weiteren Wissenschafterinnen) in solche CMYK-CodeRaster zu transformieren. Ein System der Bildfindung, das er bereits 2003 im Rahmen der Ars Electronica präsentierte. Damals jedoch ohne den historischen Kontrast traditioneller Porträtkultur, die gleichzeitig eine "Genealogie" anderer Art ablesbar macht.

Die solchermaßen Porträtierten wiederzuerkennen, das darf man sich jedoch nicht erwarten. Zumindest aber vertrauen kann man diesen genetischen Tafelbildern, einem Medium, das Kriesche übrigens stets streng kritisiert hat. Denn das Projekt an der Schnittstelle zur Wissenschaft wurzelt in einem tiefen Misstrauen: "Vertrauen in unser optisches System ist heute unangebracht." Sein Misstrauen äußert sich in einem schöpferischen, aber dekonstruktiven Prozess, der einen Filter nach dem anderen von den traditionellen und medial vermittelten Bildern nimmt.

Vollkommen unverständlich findet Kriesche in diesem Zusammenhang den Stellenwert, den im Fall Natascha Kampusch die Computersimulation ihres heutigen Aussehens eingenommen hat: Das Bild wird einfach als "authentisch" angesehen - symptomatisch für das "Leben in Bild- statt in Realwelten", so Richard Kriesche. Letztlich darf aber auch die Blick der Wissenschaft nicht zur alleinigen Alternative werden: "Wissenschaft ohne Kunst macht keinen Sinn mehr und Kunst ohne Wissenschaft nur Unsinn." (Anne Katrin Feßler /DER STANDARD, Printausgabe, 7.9.2006)


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