Es ist fast unerträglich. Der beißende Geruch, der den
Atem stocken lässt. Das Fehlen einer Barriere, das langsame Abschreiten
der Stoffbahn. Und am Schlimmsten - das Erkennen. Das nach nur irgend
einer Fassung ringende Erkennen.
Zuerst scheint alles so einfach. Im Project Space der
Kunsthalle am Karlsplatz zeigt eine mexikanische Künstlerin, Teresa
Margolles, ein Leichentuch. Nette Idee, vor Ostern, in der Fastenzeit.
Ziemlich groß ist die Stoffbahn, 24 Meter lang. Man erkennt Umrisse von
Körpern, wundert sich über die Technik - gedruckt, gepresst, Wachsmalerei?
Und was stinkt da eigentlich so schrecklich?
Es ist Formalin. Es wurde nichts gemalt oder bedruckt. Es
ist real. Es ist das Leichentuch aus der Leichenhalle von Mexico City. Bis
zu fünfzehn nicht identifizierter Körper werden hier eingeschlagen, bis
sie auf dem Seziertisch der Universität landen. Begräbnisse sind in Mexico
pompös und dementsprechend teuer, die Verwandten scheuen lieber das
Bekenntnis zu ihren Toten.
Teresa Margolles will sich vor nichts scheuen. Seit über
zehn Jahren arbeitet und forscht sie in den gewaltigen Totenbergen, die
dieser Moloch Megastadt produziert. In den Räumen der Kunst erzwingt sie
den vom Leben Vergessenen einen Platz im öffentlichen Gedächtnis, der
ihnen verwehrt war. Und zwar so eindringlich, dass Berührungsängste
chancenlos sind. Vor einem Jahr verdampfte sie in drei Galerieräumen in
Mexico City, New York und Madrid das Wasser, mit dem Leichen vor der
Autopsie gewaschen wurden. Die Besucher verbanden sich im Dampf zur
Einheit mit Körperpartikeln, Verwesungsgeruch und Straßenstaub.
Theatralische Inszenierung für eine Einheit von Völkern, Arm und Reich,
dem Hier und dem anderen, das heute keinen Namen mehr haben darf.
Es sind extreme Mittel - und damit nicht mehr
kontrollierbar. Das Video mit der Waschung und Präparierung eines
totgeborenen Babies greift dermaßen in die Psyche ein, überschreitet
kulturelle Abmachungen so heftig, dass Verantwortung übernommen werden
muss - vom Publikum wie von den Ausstellungsmachern. Und nicht nur
insofern, dass die Öffnungszeiten limitiert werden, wie es im Raum mit dem
Leichentuch geschah - weil der Gestank den Betrieb im Kunsthallen-Café
stören könnte.
Bis 4. Mai. Do. bis So., 13-19 Uhr.
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