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26.03.2003 - Kultur News
Dem Tod den Atem anhalten
Teresa Margolles leiht den Toten von Mexico City einen Raum im Heute. Den Project Space am Karlsplatz.
VON ALMUTH SPIEGLER


Es ist fast unerträglich. Der beißende Geruch, der den Atem stocken lässt. Das Fehlen einer Barriere, das langsame Abschreiten der Stoffbahn. Und am Schlimmsten - das Erkennen. Das nach nur irgend einer Fassung ringende Erkennen.

Zuerst scheint alles so einfach. Im Project Space der Kunsthalle am Karlsplatz zeigt eine mexikanische Künstlerin, Teresa Margolles, ein Leichentuch. Nette Idee, vor Ostern, in der Fastenzeit. Ziemlich groß ist die Stoffbahn, 24 Meter lang. Man erkennt Umrisse von Körpern, wundert sich über die Technik - gedruckt, gepresst, Wachsmalerei? Und was stinkt da eigentlich so schrecklich?

Es ist Formalin. Es wurde nichts gemalt oder bedruckt. Es ist real. Es ist das Leichentuch aus der Leichenhalle von Mexico City. Bis zu fünfzehn nicht identifizierter Körper werden hier eingeschlagen, bis sie auf dem Seziertisch der Universität landen. Begräbnisse sind in Mexico pompös und dementsprechend teuer, die Verwandten scheuen lieber das Bekenntnis zu ihren Toten.

Teresa Margolles will sich vor nichts scheuen. Seit über zehn Jahren arbeitet und forscht sie in den gewaltigen Totenbergen, die dieser Moloch Megastadt produziert. In den Räumen der Kunst erzwingt sie den vom Leben Vergessenen einen Platz im öffentlichen Gedächtnis, der ihnen verwehrt war. Und zwar so eindringlich, dass Berührungsängste chancenlos sind. Vor einem Jahr verdampfte sie in drei Galerieräumen in Mexico City, New York und Madrid das Wasser, mit dem Leichen vor der Autopsie gewaschen wurden. Die Besucher verbanden sich im Dampf zur Einheit mit Körperpartikeln, Verwesungsgeruch und Straßenstaub. Theatralische Inszenierung für eine Einheit von Völkern, Arm und Reich, dem Hier und dem anderen, das heute keinen Namen mehr haben darf.

Es sind extreme Mittel - und damit nicht mehr kontrollierbar. Das Video mit der Waschung und Präparierung eines totgeborenen Babies greift dermaßen in die Psyche ein, überschreitet kulturelle Abmachungen so heftig, dass Verantwortung übernommen werden muss - vom Publikum wie von den Ausstellungsmachern. Und nicht nur insofern, dass die Öffnungszeiten limitiert werden, wie es im Raum mit dem Leichentuch geschah - weil der Gestank den Betrieb im Kunsthallen-Café stören könnte.

Bis 4. Mai. Do. bis So., 13-19 Uhr.



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