28.09.2003 13:08
Birgit Jürgenssen 1949–2003
Die
Künstlerin erlag einem Krebsleiden - Foto
Wien – Ich weiß nicht nannte sie eine ihrer letzten
Ausstellungen. Das war im November 2001 in der Galerie Hubert Winter. Früher
oder Später nannte Birgit Jürgenssen 1998 eine Zusammenschau ihrer Arbeit im
Oberösterreichischen Landesmuseum. Vergangenen Donnerstag ist Birgit Jürgenssen
in Wien gestorben. Jeder hat seine eigene Ansicht, steht auf ihren Rücken
geschrieben, den sie uns noch einmal zeigen wollte. Zum Abschied. Zur Erinnerung
an viele Bilder.
Bilder von sich, die sie erfunden oder vorgefunden hat.
Bilder, um bloßzulegen, was und wer sich einschreibt, prägt, manipuliert,
braucht, missbraucht, liebt, verachtet, vorbeigeht, hängen bleibt, begehrt, ihr
abverlangt, sie in Beschlag nimmt, sie erfüllt. Bilder, sich täglich von neuem
selbst zu (er-)finden. Als Vergewisserung des Seins, als Möglichkeit, sich nicht
im Grau zu lösen, nicht im Alltag zu vergehen, nicht nachzugeben und
hinzunehmen.
Stellvertretend hat sie ihren Körper publik gemacht, ihre
Haut gegeben, für uns die unzähligen Projektionen aufzufangen, die auf sie, die
auf jede Frau gerichtet sind. Ich weiß nicht, wusste sie, ist jener Satz, der
all den Helden fehlt, die täglich diese Welt vernichten. Woman's work is never
done, wusste sie auch, und sezierte lächelnd weiter am Gesellschaftskörper,
obwohl sie doch mit Lawrence Weiner schon einen Mann auf die Seite der Damen
gebracht hat. Ein Etappensieg. Zu wenig.
Ich weiß nicht, wusste sie, ist
der einzige Zustand, Zukunft zu ermöglichen, die Weigerung, sich festzulegen,
der entscheidende Schritt in Richtung Morgen, der Verzicht anzuklagen, der Weg,
Gerechtigkeit zu installieren.
Birgit Jürgenssen hat in Konstellationen
gedacht, in den Beziehungsfeldern gegraben, die sich zwischen den Geschlechtern
und ihren so opponierenden Ding- und Symbolwelten aufbauen. Mit ihrem Körper als
Mittler, nicht als abzubildendes Objekt, sondern als Gegenstand der Beziehung
mit anderen, als Projektionsfläche sozialer Ordnungen, als Ziel männlicher
Obsessionen, als Rezeptor von Lust und Schmach, als zugleich Manipulierter und
Manipulierer.
Reflexionen auf den Mythos der Macht männlichen
Wunschdenkens haben sie dorthin gebracht, die angewiesene Rolle der Verführten
nicht länger hinzunehmen, sondern ihrerseits zu verführen. Wer in ihrer Arbeit
Realität sucht, wird Illusion finden, wer manisch den Schleier zu lüftet
trachtet, den Verlust der Sinnlichkeit erfahren müssen.
Birgit Jürgenssen
hat uns nachhaltig verzaubert, uns bestärkt, Zweifel zu hegen. (mm/DER STANDARD,
Printausgabe, 27./28. 9.2003)