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derStandard.at | derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
01. Jänner 2009
18:41 MEZ

Bis 25. Jänner

 

Räume, in denen die Zeit stillsteht: Sejla Kameri zeigt  in "What Do I Know"  Ansichten aus dem leeren Haus ihrer Großeltern.

 

 


Hinter blinden Windschutzscheiben
Sejla Kameric rekonstruiert feinfühlig Vergangenes in der Galerie im Taxispalais in Innsbruck

Innsbruck - Wie gestalten sich Erinnerungen? Als Sequenz von Bildern? Filmisch, chronologisch, logisch? Und was, wenn man Erlebnisse in Erinnerung ruft, bei denen man gar nicht dabei war? Ein Experiment, das die 1976 geborene bosnische Künstlerin Sejla Kameric in What Do I Know? (2007) feinfühlig als 4-Kanal-Videoinstallation visualisiert. In der Galerie im Taxispalais lockt sie behutsam in das Haus ihrer Großeltern. Seit dem Krieg in Bosnien und der Belagerung Sarajevos, die Kameric als Teenager erlebte, steht das Haus, in dem sie als Kind spielte, leer. Mehrere Liebesgeschichten verwebt sie wie Träume ineinander, wiederholt Motive, bricht so die Linearität der Erzählung auf oder verstärkt die intensiven, weil langen Einstellungen durch parallele Projektion derselben Bilder.

In den Räumen scheint die Zeit stillgestanden zu sein; hinter dem hölzernen Garagentor schlummert ein alter Wagen mit vor Schmutz blinder Windschutzscheibe. Kinder in Kleidern der 1950er-Jahre spielen staksig und teils unbeholfen die Rollen der Erwachsenen, jene des Großvaters, der im Erdgeschoss des Hauses ein Café betrieb, die der Großmama oder der beiden ewigen Tanten. Im Rollenspiel, in der Distanz der geschminkten und verkleideten Kinder zu den tatsächlichen Personen, wird die Rekonstruktion der Erinnerung besonders deutlich. Bruchstücke, die wie von kindlicher Fantasie ausgekleidet scheinen.

Das Diffuse der Geschichten verweist in gewisser Weise auch auf die unterbrochene familiäre Erzählkette: Kameric verlor im Krieg ihren Vater, Verwandte und Freunde. Und es ist nicht nur die gewaltsam unterbrochene Oral History des Privaten, sondern auch das kollektive Gedächtnis einer Kultur, welches nun etliche Lücken und Risse aufweist: 1992 verbrannte fast der gesamte Bestand der National- und Universitätsbibliothek von Sarajevo.

Sejla Kamerics Arbeiten sind stark vom Krieg in ihrer Heimat geprägt: Verlust und Wiederfinden einer eigenen und auch kollektiven Identität in Bosnien spielen eine große Rolle. Verletzungen zeigen sich auf der Haut, auch auf den Häusern, den Speichern von Erinnerungen: In der Fotoserie Red (2008) hat sie Einschusslöcher auf Mauern festgehalten. Die Kostbarkeit von Bildzeugnissen, die Erinnerung schaffen, zeigt sich aber auch in Sunset: Dem wahrscheinlich einzigen Farbfoto vom Brand des Warschauer Ghettos haucht Kameric unheimliches Leben ein - kaum merklich zieht schwarzer Qualm über das rote Grauen am Horizont.

Mit Kameric und der im Vergleich mäßig überzeugenden Gruppenschau Ritornell schloss Silvia Eiblmayr ihre Arbeit als Direktorin der Galerie im Taxispalais ab. Nach zehn Jahren wurde sie mit 1. Jänner von Beate Ermacora abgelöst. (Anne Katrin Feßler/ DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.1.2009)

 

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