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21.09.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung | ||
Picasso in der Albertina: Der große Killer | ||
VON ALMUTH SPIEGLER | ||
Picasso in der Albertina. Es fällt schwer, bei dieser Ausstellung des Alterswerks nicht in Jubel zu verfallen. | ||
Wie grausam wurde der "Picasso" in Picasso schon vorzeitig zu Grabe
getragen von seinen ent täuschten Zeit- und Neidgenossen: Von
"unzusammenhängenden Schmierereien" eines "rasenden Greises im Vorzimmer
des Todes" ätzte da Picasso-Intimus Douglas Cooper über das Spätwerk
seines alten Freundes. Picasso sei bereits nach der Entdeckung des
Kubismus gestorben, meinte ein anderer. Picassos künstlerischer Einfluss
wäre minimal, der Nächste. Und wirklich. Der Schock, sich Aug in Aug mit diesem wie
rasend alles auf Leinwand, Papier und Kupfer ausspeienden Künstler-Urvieh
bewegen zu müssen, dürfte mit nichts anderem als Hohn erträglich gewesen
sein. Diese hunderten Bilder, mit wenigen Pinselhieben genial hingefetzt!
Noch dazu zog sich Picasso, diese Gallionsfigur des
französischen Kommunismus, 1961 vor allen Vereinnahmungen nach Mougins
(bei Cannes) zurück, wo er 1973 mit 91 auch starb. Schnöde wandte er sich
so ab von dem Denkmal, zu dem man ihn stilisiert hatte - und das er
gönnerisch auch immer wieder mit passenden Posen bediente. Runter vom
Sockel mussten die Kollegen ihn treten, um weiterzukommen. Denn malen
konnte neben Picasso keiner. Am klarsten sah das wohl sein Gegenpol, Marcel Duchamp,
der mit seinem Flaschentrockner den Intellekt ins Museum einführte statt
die Wollust. Er war es, der die Kunst den wesentlichen Schritt weiter auf
Konzept-Kurs brachte. Und Picassos so gemobbtes Spätwerk in kundige
Privatsammlungen, wie jene von Irene und Peter Ludwig, statt in staatliche
Museen. Ein Glück für Wiens Museum moderner Kunst, dem die
Ludwigs ein spätes Meisterwerk schenkten: Das Porträt Jacquelines,
Picassos letzter Gefährtin, hängt jetzt als einzige Gemälde-Leihgabe aus
Österreich in der Albertina. Die Grafische Sammlung selbst besitzt kein
einziges Blatt des späten, diffamierten Picasso. Ebenso wenig wie die
meisten anderen Institutionen. Kurator Werner Spies, der Picasso durch seine Arbeit am
Werkkatalog der Skulpturen noch persönlich kennen lernte, musste über 60
Leihgeber aus der ganzen Welt für sein Vorhaben begeistern: neuen Ruhm für
den späten Picasso. Ein fulminantes Vorhaben. Und fulminant wird auch
vorgeführt, wie provokant zeitgenössisch sich diese letzte Phase heute, 30
Jahre nach Picasso, vor uns aufbaut, mit ihrer extremen sexuellen
Exhibition und rasanten Geschwindigkeit. Wie läppisch erscheinen einem dazu im Vergleich die
Produkte aller heutigen Maler, die sich so gern seriell an klassischen
Sujets abarbeiten, wie etwa Markus Lüpertz zurzeit im BA-CA Kunstforum.
1961 schon tat das Picasso so unvergleichlich traumwandlerisch mit einem
der wichtigsten Werke der Moderne, Manets "Frühstück im Grünen", mit
dessen Variationen die Schau beginnt. Der in den vergangenen Jahren so gehypte Porn-Chic? So
spitzfingrig wie bei Picasso reißen heute keine wilden Britinnen ihre
Genitalien auf. Diese kamasutraesken Szenen hätten vielleicht nicht gerade
Otto Mühl die Schamesröte ins Gesicht getrieben. Jedenfalls aber hätte es
der unglaublich sichere Strich getan, mit dem Picasso so eloquent das
leere Blatt überwältigte. War Picasso also der wahre Zeichner der
68er-Bewegung? Orgiastisch zelebrierte freie Sexualität war, unschwer
erkennbar, ein Hauptthema seiner späten Radierungen. Überhaupt variiert der alte Picasso weniger seine Themen,
wie Modell und Maler, als die Stile seines Lebens, die er virtuos
verschmilzt, von Simultanansicht bis Grisaille. So erhält Wien mit seiner unglaublichen ersten großen
Picasso-Schau nicht den x-ten historischen Aufguss, sondern die noch heute
wesentliche Essenz dieses Meisters, der kein alter und kein junger ist,
sondern alleine stehen bleibt, zeitlos. Eine aufreibende Ausstellung,
durch die Eröffnung der neuen Galerien im Dachgeschoß recht luftig gehängt
- was Picasso, der seine Bilder am liebsten zu klapprigen Türmen stapelte,
wohl nicht gebraucht hätte. Es hätte ihn vermutlich aber auch nicht weiter
gestört. Mehr übte er sich in zynischen Betrachtungen der verbrannten
Erde, die er hinterließ: "Was wird die Malerei machen, wenn ich nicht mehr
da bin? Sie wird wohl über meine Leiche gehen müssen!" Und sie ging.
Besser gesagt: schleppte sich weiter. Viel Chance hat Picasso ihr nicht
gelassen. Er, der große Killer in der Kunstgeschichte. |
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