November 2032. Im Veranstaltungs zentrum des galizischen Dorfes Muxia
wird eine Oper geprobt. "Marea Negra" - "schwarze Flut" heißt sie. Ihre
Akteure verkörpern jene, die zur Premiere am 19. des Monats, vielleicht
zusammen mit Kindern und Enkeln, im Publikum sitzen werden: Fischer,
Freiwillige, Bewohnerinnen und Bewohner, die genau 30 Jahre früher mit
einer der bislang schlimmsten Umweltkatastrophen konfrontiert wurden und
in monatelanger Sisyphos-Arbeit versuchten, die Küste vom sich
ausbreitenden Ölteppich zu befreien. Konzipiert wurde die Oper 2002 vom
amerikanischen Künstler Allan Sekula.
Sekula gilt in der zeitgenössischen Kunst als der
Chronist und Dokumentarist des Meeres par excellence, seit er im
Umbruchsjahr 1989 mit "Fish Story" begann. Bis 1995 wuchs dieses
fotografische Großprojekt über die Häfen der Welt, die Sekula als Fokus
von Sozialwandel und Globalisierung interpretiert, auf neun Kapitel an.
2002 war "Fish Story" eines der Schlüsselwerke der documenta in Kassel.
Im Dezember 2002 wurde Sekula nach Galizien eingeladen,
um die Katastrophe in einem Projekt für die Tageszeitung "La Vanguardia"
mit dokumentarisch-künstlerischen Mitteln zu verarbeiten. Als ein Teil
davon entstand das Opernlibretto, ein anderer - nunmehr erstmals in einer
Ausstellung präsentierter - ist ein 20teiliger Fotozyklus, dessen Blätter
teilweise zu Diptychen und Triptychen zusammengefasst sind. Bilder, die
nüchtern, präzise, keineswegs reißerisch die humane Seite der Katastrophe
zeigen: die Menschen, wie sie an den Aufräumungsarbeiten beteiligt sind,
aber auch ihre Ruhepausen, Momente der Schadensaufnahme, den riesigen
Müllplatz, dazwischen ein Selbstporträt als Beteiligter.
Leise nur schwingen Andeutungen auf die ökonomischen
Folgen des Unglücks für die Bevölkerung mit. Und genau darin liegt die
Qualität der zweifelsohne hoch politisierten Kunst Sekulas: dass dieses
Engagement nicht mit Holzhammermitteln vorgetragen wird. Die primäre
Botschaft ist vielmehr die kritische Arbeit an den Möglichkeiten von
Bildern, und zwar vor dem Hintergrund der viel beschworenen Bilderflut.
Die Ausstellung selbst zielt ab auf den weniger
sichtbaren, "performativen" und - wie Kuratorin Sabine Breitwieser betont
- humorvollen Aspekt im Schaffen des 52jährigen, der seine künstlerische
Prägung im Kontext der Performance-Kunst der frühen Siebziger erfahren
hat. Dies mag eindeutig nachweisbar sein für Sekulas Frühwerk: etwa wenn
er für "Two, three, many . . . (terrorism)" in Anspielung
auf Che Guevara einen mit MP und Bauernstrohhut ausgerüsteten Akteur über
einen Parkplatz robben lässt. Oder Vernissagen-Geplänkel aufzeichnet, um
es später in bester institutionskritischer Manier wieder in die Kunsträume
einzuschleusen. Und sogar noch ein Vierteljahrhundert später, wenn Sekula
sich als Schnorchler vor Bill Gates' Villa fotografiert und dazu in einem
Brief Rechenschaft über einen teuren Kunstankauf verlangt.
Trotzdem wird Sekula in die Geschichte nicht gerade als
großer Performance-Künstler eingehen. Vielmehr hinterlässt die Ausstellung
den Befund, dass hier einer der gegenwärtig subtilsten und darin
komplexesten Beiträge zur kritischen Kunst überhaupt präsentiert wird,
Performance hin oder her.
Bis 17. 8. Di.-So. 11-18h, Do. bis 20h.
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Wien