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21.05.2003 - Ausstellung
Fluten des Öls, der Bilder
Die Generali Foundation zeigt Foto- und Libretto-Kunst des amerikanischen documenta-11-Teilnehmers Allan Sekula.
VON JOHANNA HOFLEITNER


November 2032. Im Veranstaltungs zentrum des galizischen Dorfes Muxia wird eine Oper geprobt. "Marea Negra" - "schwarze Flut" heißt sie. Ihre Akteure verkörpern jene, die zur Premiere am 19. des Monats, vielleicht zusammen mit Kindern und Enkeln, im Publikum sitzen werden: Fischer, Freiwillige, Bewohnerinnen und Bewohner, die genau 30 Jahre früher mit einer der bislang schlimmsten Umweltkatastrophen konfrontiert wurden und in monatelanger Sisyphos-Arbeit versuchten, die Küste vom sich ausbreitenden Ölteppich zu befreien. Konzipiert wurde die Oper 2002 vom amerikanischen Künstler Allan Sekula.

Sekula gilt in der zeitgenössischen Kunst als der Chronist und Dokumentarist des Meeres par excellence, seit er im Umbruchsjahr 1989 mit "Fish Story" begann. Bis 1995 wuchs dieses fotografische Großprojekt über die Häfen der Welt, die Sekula als Fokus von Sozialwandel und Globalisierung interpretiert, auf neun Kapitel an. 2002 war "Fish Story" eines der Schlüsselwerke der documenta in Kassel.

Im Dezember 2002 wurde Sekula nach Galizien eingeladen, um die Katastrophe in einem Projekt für die Tageszeitung "La Vanguardia" mit dokumentarisch-künstlerischen Mitteln zu verarbeiten. Als ein Teil davon entstand das Opernlibretto, ein anderer - nunmehr erstmals in einer Ausstellung präsentierter - ist ein 20teiliger Fotozyklus, dessen Blätter teilweise zu Diptychen und Triptychen zusammengefasst sind. Bilder, die nüchtern, präzise, keineswegs reißerisch die humane Seite der Katastrophe zeigen: die Menschen, wie sie an den Aufräumungsarbeiten beteiligt sind, aber auch ihre Ruhepausen, Momente der Schadensaufnahme, den riesigen Müllplatz, dazwischen ein Selbstporträt als Beteiligter.

Leise nur schwingen Andeutungen auf die ökonomischen Folgen des Unglücks für die Bevölkerung mit. Und genau darin liegt die Qualität der zweifelsohne hoch politisierten Kunst Sekulas: dass dieses Engagement nicht mit Holzhammermitteln vorgetragen wird. Die primäre Botschaft ist vielmehr die kritische Arbeit an den Möglichkeiten von Bildern, und zwar vor dem Hintergrund der viel beschworenen Bilderflut.

Die Ausstellung selbst zielt ab auf den weniger sichtbaren, "performativen" und - wie Kuratorin Sabine Breitwieser betont - humorvollen Aspekt im Schaffen des 52jährigen, der seine künstlerische Prägung im Kontext der Performance-Kunst der frühen Siebziger erfahren hat. Dies mag eindeutig nachweisbar sein für Sekulas Frühwerk: etwa wenn er für "Two, three, many . . . (terrorism)" in Anspielung auf Che Guevara einen mit MP und Bauernstrohhut ausgerüsteten Akteur über einen Parkplatz robben lässt. Oder Vernissagen-Geplänkel aufzeichnet, um es später in bester institutionskritischer Manier wieder in die Kunsträume einzuschleusen. Und sogar noch ein Vierteljahrhundert später, wenn Sekula sich als Schnorchler vor Bill Gates' Villa fotografiert und dazu in einem Brief Rechenschaft über einen teuren Kunstankauf verlangt.

Trotzdem wird Sekula in die Geschichte nicht gerade als großer Performance-Künstler eingehen. Vielmehr hinterlässt die Ausstellung den Befund, dass hier einer der gegenwärtig subtilsten und darin komplexesten Beiträge zur kritischen Kunst überhaupt präsentiert wird, Performance hin oder her.

Bis 17. 8. Di.-So. 11-18h, Do. bis 20h.



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