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Essl Museum: Globale Kunst mit Wurzelduft

01.09.2009 | 18:20 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

„Los geht's! Indien“ zeigt international lesbare zeitgenössische Kunst aus Indien, ohne dass man diese in der Kunstgeschichte des Landes verorten könnte.

Als gingen alle exotischen Träume, die das Ausstellungsplakat mit der rot-goldenen Hindugöttin in der Lotusblüte geweckt hat, in Erfüllung, wacht gleich am Beginn der Indien-Ausstellung im Essl Museum ein dicker fetter Elefant. Bedächtig scheint er in die Knie gesunken zu sein vor dem Land mit der gefühlten geringsten Dichte an Indien-Restaurants weltweit. Dafür boomte Bollywood auch hierzulande – und schwänzte man dazu noch alle Ausstellungen indischer Kunst im Wiener Museum für angewandte Kunst, bleiben tatsächlich nur Elefanten, Maharadschas und das Taj Mahal, tanzende Frauen in Saris, Buddha, Krishna, Hippie-Rausch und ja, die schlimme Armut, die unsere bunten Fantasien von Indien prägen.

„What a fucking joke“, würde dazu der erbärmliche Balram Halwai aus Aravin Adigas Bestseller „Der weiße Tiger“ sagen, eine der englischen Phrasen zitierend, die er von seiner reichen Herrschaft gelernt hat, bevor er mit mörderischer Brutalität aus dem Käfig gelernter Unterwürfigkeit ausbricht. Und „What a fucking joke“ trifft auch auf den pittoresken Elefanten zu, der im Essl Museum gerade in die Knie zu gehen scheint. Oder erhebt er, Verzeihung, sie sich gerade?

 

Bindi in Spermienform

Der aufstehende Elefant wird in Indien als Symbol der aufstrebenden Wirtschaftsmacht gelesen. Also scheint sich die Fiberglasskulptur von Bharti Ker im Moment doch eher im Zustand der Ermattung zu befinden. Doch was ist mit der Haut des grauen Riesen geschehen? Sieht man genau hin, erkennt man darauf ein wahres Mustermeer aus winzigen Bindi-Aufklebern, die verheiratete Hindufrauen sonst auf der Stirn tragen. Nur, dass sie diesmal weder rund noch rot sind, sondern die Form kleiner weißer Spermien haben.

Nichts will hier so sein, wie es scheint. Die zeitgenössische indische Kunst, jedenfalls wie diese vom japanischen Mori-Museum übernommene Überblicksausstellung sie uns präsentiert, arbeitet stark mit Überraschungseffekten, mit doppelten Ansichten, optischen Täuschungen, eben mit der Zerstörung des Scheins, der Klischees, als müsste man uns erst hinters Licht führen, um unseren Blick frei, offen für Neues fernab der Klischees zu machen.

Das aus der Ferne scheinbar völlig abstrakte Großformat an der Wand etwa. Es ist schmutzige Realität, nämlich die Vogelperspektive auf einen Slum von Bombay, die Hema Upadhyay aus Abfallprodukten zusammengeklebt hat. Oder die projizierten Filmstandbilder von Ranbir Kaleka. Plötzlich bewegen sich die scheinbar statischen Straßenverkäufer aus ihren Umrissen heraus, wird die Malerei erkennbar, die unter dem plötzlich weiterlaufenden Film liegt. Auch die Hindugöttin vom Plakat ist nicht ernst gemeint. In ihrem Kostüm steckt die Künstlerin Pushpamala N., die in ihren Fotos unterschiedlichste indische Frauenklischees verkörpert und so entlarvt, politisch unkorrekt könnte man sie als Cindy Sherman Indiens bezeichnen. Wobei die in etwa gleich alte, 1956 geborene Pushpamala N. nicht verabsäumt zu betonen, mehr von satirischen indischen Künstlern beeinflusst worden zu sein, von K. G. Subramanyan oder Bhuben Khakhar. Aber wer kennt diese schon hierzulande? Nataraj Sharma dagegen, dessen in metallene Raster eingeschriebene „Flugshow“ man fälschlich mit den Anschlägen von 9/11 in Verbindung bringt, hat keine Scheu, sich mit Anselm Kiefers Bleiflugzeugen und Gerhard Richters verschwommenen Wolkenfotos in Bezug zu setzen.

Womit wir bei einem Problem dieser Ausstellung wären: Die künstlerischen Methoden, mit denen hier gearbeitet wird, sind ohne Weiteres im Kauderwelsch der globalisierten Kunst lesbar. So leicht, dass sie anfällig für vorschnelle Urteile und Missverständnisse werden. Denn die meisten Werke sind plakativ, auffällig multimedial, meist sind es Installationen. Sie wirken, als wären sie erst in den vergangenen zehn Jahren für einen westlich geprägten Kunstgeschmack entstanden – keine der Arbeiten ist älter als ein paar Jahre, von keinem der Künstler und Künstlerinnen der hier vertretenen mittleren Generation ist eine Entwicklung nachzuvollziehen, wird ein kleiner Werküberblick gegeben.

Was nun einmal misstrauisch stimmt, denkt man an den Drang nach immer neuen Ländertrends, die der internationale Kunstmarkt verschleißt wie die Champagnerflaschen bei der „Art Basel“. China war gestern, Indien ist heute, morgen kommt der Iran. Und irgendwie schaut alles gleich aus, passt bestens in die Kollektionen internationaler Kunstsammler, ist großformatig, etwas glatt und atmet einen Hauch lokales Wurzelodeur fürs kribbelig Authentische. Wie die Metallobjekte von Subodh Gupta etwa, dem Star von Contemporary India, der mit indischem Billig-Essgeschirr Totenköpfe und Kronleuchterartiges arrangiert.

 

Wo sind die Väter und Mütter?

Die kunsthistorischen Entwicklungen, die zu dieser Kunst führten oder aber die von dieser abrupt gekappt wurden, werden meist nur in Form von Anekdotischem berichtet. Anstrengend konzeptuelle, scharf sozialkritische Kunst ist weniger vertreten, es überwiegt das Dekorative. Dabei muss sich die indische Kunst des 20.Jahrhunderts doch zumindest vielfältiger und freier entwickelt haben als die von Zensur geprägte chinesische. Wo aber ist die indische Moderne, wo sind die Väter dieser heute so global agierenden und nachgefragten Künstler? Oder existieren sie gar nicht?

Die hierorts gefeierte indische Kunst jedenfalls ist im eigenen Land ein elitäres Minderheitenprogramm. Trotzdem titelt die Schau unverfroren „Chalo!“, „Los geht's!“. Als wenn – jetzt endlich! – auch Indien auf den richtigen Weg gekommen wäre, der anscheinend nur der einer internationalen, „globalisierten“ Postmoderne sein und nur durch westliche Museen führen kann.


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