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„Eyes On“: Fotografie zwischen Dokument und Inszenierung

05.11.2010 | 18:32 | SABINE B. VOGEL (Die Presse)

„Monat der Fotografie“. Allein in Wien bietet das einmonatige Festival 200 Ausstellungen, das Angebot ist kaum zu überblicken. „Die Presse“ empfiehlt.

Ob in Kaffeehäusern oder Bezirksmuseen, Büchereien oder Ausstellungsräumen – diesen Monat steht Wien im Zeichen der Fotografie. „Eyes On – Monat der Fotografie“ nennt sich das alle zwei Jahre veranstaltete Festival, das heuer mit 200 Ausstellungen an 178 Orten und 600 Künstlern in fast allen Bezirken stattfindet. Im Gründungsjahr 2006 waren es nur 75 Ausstellungen. Seither steigt das Interesse rapide, eine fünfköpfige Jury bestimmt über die Aufnahme der eingereichten Projekte. Zeitgleich findet in sieben Städten, darunter Berlin, Moskau und Bratislava, der Europäische Monat der Fotografie statt.

 

Große Qualitätsunterschiede

Unmöglich, all das auch nur zu überblicken. Nicht einmal das Wiener Programm kann oder soll komplett gesehen werden, Menge und Qualitätsunterschiede sind zu groß. Stattdessen zielt das Festival fast basisdemokratisch auf vielfältigste Interessen, dient als Einstieg in die Welt der Bilder, zur Vertiefung von Bekanntem mit Retrospektiven oder auch für Entdeckungen.

Ganz besonders fordert uns das MUSA (Museum auf Abruf) heraus. Zehn Webprojekte suchen zu ergründen, wann ein Bild privat, wann öffentlich ist, was in Edmund Clarks „Guantánamo“-Bildern besonders drastisch wird: Privat gibt es dort nicht. Gleich daneben fordern Mengen von Boxen unsere Aufmerksamkeit, in ihnen sind die eingescannten 33 Ausgaben von Sissi Farassats minikleinem Fotomagazin „Sioseh“ zu sehen – persisch für „33“. Eine überwältigende Bilderflut von 160Künstlern.

 

Zeigen versus zweifeln

Allen Beiträgen des Festivals gemeinsam sind zwei grundsätzliche Methoden der Fotografen: Die einen demonstrieren einen Glauben an die Welt des Sichtbaren und dokumentieren unsere Wirklichkeit, etwa der 1933 geborene René Burri, in dessen Retrospektive auch das weltbekannte Foto vom jungen Che Guevara zu sehen ist (Kunst Haus Wien), oder Thomas Strini, der den Abriss von einst gefeierten Architekturen in Wien festhält (Fleischmarkt, St. Marx).

Die anderen lassen uns am Wahrheitscharakter der Kamera zweifeln und inszenieren fiktive Bildwelten, etwa wenn der deutsche Nachkriegsfotograf Otto Steinert mit experimentellen Methoden zu fast surrealen Bildern kommt (Galerie Johannes Faber) oder der Meister der Konzeptuellen Fotografie, Victor Burgin, das Medium selbst in Zweifel zieht. Ausgangspunkt seiner faszinierenden Serien ist eine historische Aufnahme aus Pompeji, auf der eine Unbekannte zu sehen ist. Was sah die Frau, was hätte der Fotograf sehen können? Mit seiner Kamera erforschte Burgin vor Ort diese Aussichten und verbindet in einer dritten, älteren Serie filmische und historische Referenzen mit dem Ort (Galerie Raum Mit Licht).

Dann gibt es noch einen dritten Weg: Auf einem Strand stehen Menschen im Kreis. Zelebrieren sie ein schamanisches Ritual? Loan Nguyen hat die Situation als Schnappschuss fotografiert. Später erfährt sie, dass sich Surfer aufwärmen, bevor sie mit ihren Brettern auf den Wellen reiten. Ein perfektes Motiv für ihren Blickwinkel, denn die in der Schweiz geborene Künstlerin, deren Familie aus Vietnam stammt, will weder dokumentieren noch inszenieren, sondern verschmelzen – Bildebenen, Handlung und Ort, Individuelles und Allgemeines. 21 Bilder ihrer dokumentarischen Fiktion zeigt sie in der Verbund-Zentrale Am Hof. Bei ihr dominiert weder der Mensch noch die Umgebung: Beides trifft in einem Moment gleichwertig zusammen.

MUSA, Felderstr. 6–8, Di–Fr 11–18, Sa 11–16 Uhr.

Verbund-Zentrale, Am Hof 6a, jeden Mittwoch 18 Uhr.


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