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Kunstberichte
Bawag Contemporary zeigt Marcel van Eedens Bilder-Zyklus "Celia"

Die Archäologie einer düsteren Alltagswelt

Alltagsrelikte als Beschwörungsformeln dunkler Erinnerung: Ein Bild
 aus Marcel van Eedens Serie "Celia", zu sehen im Bawag 
Contemporary. Foto: Burger Collection, Hongkong

Alltagsrelikte als Beschwörungsformeln dunkler Erinnerung: Ein Bild aus Marcel van Eedens Serie "Celia", zu sehen im Bawag Contemporary. Foto: Burger Collection, Hongkong

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Aufzählung Der Anfang einer tagebuchartig gezeichneten Geschichte des niederländischen Künstlers Marcel van Eeden zeigt Celia, die Protagonistin aus "The Cocktail Party" von Thomas Stearns Eliot, einer 1949 verfassten Tragödie. 148 Blätter gleicher Größe und Technik folgen bei der neuen Ausstellung im Bawag Contemporary in einer zweireihigen Hängung mit vorgeschriebener Leserichtung.

Allesamt sind die Bilder Vorlagen aus Zeitschriften, Fotos oder Filmen nachgezeichnet. Im Tagesabstand hat der gebürtige Niederländer je ein Bild verfertigt, über das Vorbild dabei willkürlich entschieden. Wichtig war allein der Rückgriff auf Material, das vor dem Geburtsjahr des Künstlers, 1965, entstand. Jede Zeichnung ist mit Textfragmenten verknüpft: Sie entstammen nicht nur Eliots Stück, sondern auch Robert Walsers "Der Spaziergang" (1917), der Autobiografie von Jack Bilbo (1948) und "Laatste dagen" von Jan van Oudshoorn (1927).

Fangnetze des Mysteriösen

Die Zeichnungen zeigen Referenzen an viele Kunstwerke der klassischen Moderne, aber auch fotografische Fundstücke: Alltagsrelikte, Ausschnitte aus Comics oder aus pornografischen Heften stehen Fotos vom Kunstraub der Nationalsozialisten gegenüber; eine Menge Nachtstücke verquickt den Film noir und das New Yorker Gangstermilieu um Al Capone, mit dem philosophischen Unterton des Existentialismus.

Van Eedens düstere Archäologie steht einer Frage der letzten Documenta nahe: "Ist die Moderne unsere Antike?" Doch diese "Celia" frommt nicht nur dem Zeitgeist, sie will mehr sein, nämlich auch bildnerische Übersetzung literarischer Erzählformen – konkret in der Nachfolge des von Eliot verehrten James Joyce. Viele assoziative Gedankenstränge werden beim Iren scheinbar spielerisch kombiniert, Sinnstiftung ist nicht angestrebt, Geschichte verläuft nicht mehr linear, die Verständlichkeit der Dramen oder Romane lässt zu wünschen übrig. In der offenen Struktur verfängt sich das Mysteriöse, Zufällige, die dunkle Erinnerung.

Celia Copplestone, die Protagonistin der "Cocktail Party", laboriert nach der Trennung von ihrem Geliebten an einer Sinnkrise. Ihr Lebensdrama spitzt sich zu, schließlich erleidet sie in Afrika ein absurdes Martyrium: Sie endet gekreuzigt auf einem Ameisenhaufen.

Ein Drama, das sich bei van Eeden in einer Parallel-Aktion erfüllt: Sein Katastrophenblatt, das eine Explosion zeigt, war der eigentliche Ausgang der in zwei Jahren erstellten Serie. In Wien erinnern ihre nächtlichen Untertöne an das Abenteuer der Psychoanalyse – eine Archäologie in den dunklen Schichten des Unterbewussten. Eine persönliche Vorliebe van Eedens gilt nicht ganz zufällig Walter Benjamins "Passagenwerk": Retrospektive Blickfragmente treten hier en masse als Kunst auf. Da steuern zwei Männer mit einem Gemälde auf einen Pyramideneingang zu. Kunstraub oder wiedererweckte Prähistorie? Es bleibt, trotz Beitext, ungeklärt.

Aufzählung Ausstellung

Marcel van Eeden: Celia (2004–2006)
Christine Kintisch (Kuratorin)
Bawag Contemporary
bis 30. Jänner



Printausgabe vom Donnerstag, 02. Dezember 2010
Online seit: Mittwoch, 01. Dezember 2010 17:57:00

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